Wir fahren weiter am Rio Paraguay, Richtung Norden, bis nach „Tres Cerros“.
Von hier soll die Fähre nach Puerto Casado übersetzen. Aber wo ist der Hafen? Wir fahren einmal durchs Dorf und entdecken eine Stelle am Fluss, wo eine Fähre anlegen könnte. Aber wo ist die Fähre? Fahrplan gibt es auch keinen. Etwas ratlos stehen wir herum und beschließen dann, in der Nachbarschaft zu fragen. Wir treffen auf einen netten Paraguayo, der gerade seine Siesta im Vorgarten macht. No problema! Er führt ein kurzes Telefonat und erklärt uns dann, dass die Fähre in einer halben Stunde hier am Fluss anlegt. Und pünktlich 30 Minuten später sitzen wir auf der Fähre und schippern flussaufwärts nach Puerto Casado.
Die Geisterstadt Puerto Casado: ein ehemals geschäftiger Ort mit Tannin-Fabrik (Tannin brauchte man damals um Leder zu gerben) und Eisenbahnanschluss. Schon seit langer Zeit ist die Fabrik geschlossen und auf dem Gelände des ebenfalls stillgelegten Bahnhofs stehen uralte Loks (absolute Museumsstücke!) herum, die nach und nach in Einzelteile zerlegt und nach finanziellem Bedarf kiloweise verkauft werden.
Früher gehörte das Gebiet auf dem sich die Stadt befindet den Besitzern der Tannin-Fabrik, der Familie Casado. Diese verkaufte es vor 16 Jahren unter Protest der Bevölkerung an die südkoreanische Moon-Sekte.
Von Puerto Casado aus starteten 1927 auch die ersten Mennoniten ins Chaco, um sich dort anzusiedeln. (Mennoniten sind Mitglieder einer protestantischen Sekte, die vor ca. 400 Jahren in der Schweiz und in Deutschland gegründet wurde. Auf der Suche nach einem Land, in dem sie ihre Religion ohne Einschränkungen ausüben können, kamen sie vor ca. 80 Jahren nach Paraguay und kauften ebenfalls Land von der Familie Casado. Sie führen ein arbeitsreiches und strenggläubiges Leben, wohnen und arbeiten in landwirtschaftlichen Kooperativen und sprechen meist plattdeutsch oder hochdeutsch.)
Ihr seht, Paraguay ist ein Eldorado für Sekten. Man kann hier relativ problemlos Land kaufen und sesshaft werden, wird normalerweise in Ruhe gelassen und braucht nur etwas Fingerspitzengefühl bzgl. Korruption…
Auf der Fahrt nach Loma Plata geht es zuerst durch den feuchten Teil des Chaco:
Galerie-Wälder wechseln sich mit Graslandschaften, sumpfigen Gebieten und Palmenhainen ab. Immer mal wieder passieren wir ein Gatter, sehen große Greifvögel, Geier, Störche, Ibisse …- und überall sind Moskitos, die uns unverschämter Weise trotz Mückenschutz und spezieller Antimücken-Kleidung ordentlich stechen.
Der Weg ist sehr abwechslungsreich, aber auch beschwerlich. Viele tiefe Schlaglöcher, schlammig, teilweise voll Wasser und zu allem Überfluss kommen uns einige große Viehtransporter auf dem schmalen Weg entgegen.
Wir merken schnell, dass wir die 230 km bis Loma Plata an diesem Tag nicht mehr schaffen werden. Kurz vor Sonnenuntergang kommen wir an einer Estancia vorbei und bitten um Asyl für die Nacht. Wir haben Glück und dürfen bleiben. Mehr noch, Raúl, der Sohn des Verwalters, freut sich sehr über Besuch aus Europa und bittet uns, noch eine Nacht länger zu bleiben, um das Leben auf der Estancia kennenzulernen. Seine Freundin fliege als Stewardess um die Welt, habe schon viele Länder gesehen und auch er sei sehr am Reisen interessiert. Endlich mal etwas Abwechslung!
Wir werden von ihm und seinem Vater zum Asado eingeladen und erfahren nebenher, dass die Estancia „Campo Verde“ heißt, 600 000 Hektar (!) groß ist und den Moonies gehört. Allerdings weiß keiner was Genaueres über die Sekte. Alles Geschäftliche wird aus den USA koordiniert und hier vor Ort von (katholischen) Paraguayos bzw. Brasilianern geleitet.
Am nächsten Morgen starten wir zu Viert zur morgendlichen Rundfahrt auf dem Estancia-Gelände.
Raúls Vater hat einen rasanten Fahrstil, fährt die schwierigen Wege mindestens doppelt so schnell wie wir und regelt währenddessen noch alles Mögliche per Walkie-Talkie. Er ist so eine Art Ben Cartwright. Wir steuern nach und nach verschiedene Arbeitsgruppen auf dem Anwesen an: hier wird gerodet, da werden Kühe zusammengetrieben, dort Wege ausgebessert u.v.m. Immer wieder steigt er aus, fragt wie´s läuft, macht ein paar Scherze, gibt weitere Anweisungen, hakt nach, koordiniert… So viel Land zu verwalten und alle Arbeiten im Blick zu behalten ist richtig viel Arbeit!
Im Anschluss dürfen wir Raúl beim Sortieren der Kühe assistieren. Zusammen mit den Gauchos, teilt er die Tiere in verschiedene Kategorien ein und überprüft, ob die Stückzahl der Herde noch stimmt.
Raúl ist studierter Agrarwirt und hauptsächlich für den Verkauf der Kühe zuständig. Normalerweise arbeitet er von seinem Büro in Asuncion aus, auf der Estancia ist er nur gelegentlich. Dass das Verwalterhäuschen seines Vaters teilweise kein Dach mehr hat (Tornadoschaden) und seit über einem Jahr immer noch nicht repariert ist, ist ihm etwas unangenehm. Aber das Leben auf der Estancia sei nun mal etwas speziell…
Pünktlich um 12:00 serviert Raúls Vater selbst gekochtes, leckeres Ragout aus seiner Open-Air-Küche. Wie praktisch, wenn das Dach fehlt, spart sich sich auch die Dunstabzugshaube!
VIDEO Kühe sortieren
Obwohl wirklich noch genug Arbeit ansteht, nehmen sich Raúl und sein Vater am späten Nachmittag netterweise nochmal Zeit für uns. Wir machen eine weitere Rundfahrt auf dem Gelände, diesmal eine Art Safari. Mit dabei: eine Kanne Tereré, eine Angel und eine Gewehr…
Unterwegs sehen wir: ein Gürteltier, ein Reh (läuft glücklicherweise schnell genug weg!), Kaimane, Füchse, einen großen Ameisenbär und im Dunkeln der Nacht leuchten die Augen eines Pumas auf – zwischendurch flämmt Raúls Vater, der quasi immer im Dienst ist, noch ein paar Wiesen ab und gibt immer mal wieder mit seiner knarzigen Stimme Anweisungen über sein Walkie-Talkie.
Zum Abschluss des Abends gibt´s – wie soll es anders sein – ein Asado. Diesmal bei Raúls Bruder Rodriguez, der ebenfalls auf der Estancia, aber etliche Kilometer entfernt auf dem Gelände arbeitet. Insgesamt sind wir an diesem Tag über 300 km kreuz und quer gefahren! 600 000 Hektar ist einfach enorm viel. Um einen beliebten Vergleich zu bemühen: Campo Verde ist fast 2,5 mal so groß wie das Saarland.
Nach einem gemeinsamen Frühstück mit Raúl, der sich in den letzten Tagen wirklich rührend um uns gekümmert hat, verabschieden wir uns und fahren weiter Richtung Westen.
Wir kommen an mehreren Salzlagunen vorbei. An der größten, der Laguna Salada, wollen wir die Nacht verbringen.
Das Gatter ist leider geschlossen, aber es gibt eine Telefonnummer über die man den Besitzer erreichen kann. Er teilt uns telefonisch den Preis für den Einlass mit und sagt uns, wo der Schlüssel für´s Tor hängt. Ok. 15 Minuten später stehen wir vor der Lagune. Es gibt hier einen Mirador, eine Art Hütte auf Stelzen, ca. 6m hoch mit Terrasse. Hier befestigen wir unsere Hängematten, verstauen einen Teil unserer Sachen und machen eine kurze Siesta. Außer uns ist hier weit und breit niemand – selbst auf dem dreistündigen Weg zur Lagune ist uns kein Auto begegnet.
Beim anschließenden Spaziergang am Lagunenufer, können wir Hunderte von Flamingos beobachten. Sie gleiten grüppchenweise durch die Luft, landen mit weit ausgebreiteten Flügeln und stelzen durchs seichte Wasser…
Da es hier schon länger nicht mehr geregnet hat, sind auf dem getrockneten lehmigen Boden auch viele interessante Tierspuren zu sehen.
Es fängt an zu dämmern und auf unserem Weg zurück zum Schlafplatz sehen wir, wie ein relativ großes Tier mit kurzem, hellbraunen Fell elegant durchs hohe Gras schleicht – es ist zwar nur ein Teil vom Rücken zu sehen und wir sind ein paar hundert Meter entfernt, aber uns wird schon ein bisschen mulmig…
Verhaltensregeln bei Pumas: mach Dich möglichst groß, brüll ganz laut zurück, dreh ihm nie den Rücken zu und v.a. lauf nicht schnell weg! OK. Wir versuchen, uns möglichst unauffällig zu entfernen. (P.S.: Am nächsten Morgen riecht unser Auto nach der Markierung einer sehr großen Katze!)
Der Mirador ist super:
hier oben gibt es relativ wenig Moskitos, definitiv keine Pumas, es weht ein laues Lüftchen und man kann aus der Höhe die direkte Umgebung viel entspannter beobachten. Wir trinken ein Bierchen, legen uns gemütlich in die Hängematten, schaukeln vor uns hin und schauen durch unsere Ferngläser in die Weite.
Nachts bestaunen wir den Sternenhimmel und können beobachten, wie ein unglaublich großer, oranger Mond über der Lagune aufsteigt. Danach werden wir von den Flamingos in den Schlaf geschnattert…
Wir fahren weiter Richtung Westen. Die Landschaft wird immer karger und staubiger. Willkommen im trockenen Chaco! Am Straßenrand sehen wir die ersten „Palo Barachos“. Diese Bäume wachsen in extrem trockenen, heißen Gebieten und sind in der Lage, Wasser in ihrem bauchigem Stamm zu speichern. Hier scheinen alle Pflanzen Stacheln zu haben.
Unterwegs tauchen die ersten Straßenschilder mit deutschen Namen auf und aus dem Radio ertönt plötzlich deutsche Schlagermusik und deutsche Werbung. In Kombination mit dieser Landschaft eine sehr eigenwillige Mischung.
Und dann sind wir endlich da: in Loma Plata dem Hauptort der mennonitischen Kolonie Menno.
Die meisten Straßen enden auf „- straße“, wir sehen viele hellhäutige, blonde Menschen, in allen Geschäften wird man auf deutsch bedient und trotzdem schaffen wir es irgendwie, im (vermutlich) einzig brasilianischen Hotel zu landen… Egal! Hauptsache kalte Dusche, Zimmer mit AC und Ventilator und – KEINE Moskitos!!!
Nachdem wir uns auf Normaltemperatur herunter gekühlt haben, schauen wir uns die Stadt genauer an und besuchen das kleine Mennoniten-Museum vor Ort, in dem man den Werdegang der Stadt bzw. der Mennoniten in Wort und Bild verfolgen kann:
1927 wurde Loma Plata als erste mennonitische Siedlung im Chaco gegründet. D.h. die Siedler ließen sich zwischen Trockenwäldern und Dornbuschsavannen unter härtesten Bedingungen im „Nichts“ nieder. Und heute? Heute ist Loma Plata eine florierende kleine Stadt mit Supermärkten, Hotels, Restaurants, einer großen Fabrik für Milchprodukte, einem Krankenhaus u.v.m. Schon beeindruckend!
Am Abend treffen wir zufällig Rodriguez und einen weiteren Mitarbeiter von Campo Verde. Sie erzählen, dass sie Einkäufe in Loma Plata gemacht haben und aufgrund der schlechten Wetterlage eine Nacht hier in der Stadt verbringen müssen. Bei einsetzendem Regen packt selbst ihr Toyota Hilux nicht den Weg bis zur Estancia! Es wird ein lustiger Abend mit einigen Cervezas: wir reden über das Estancia-Leben, über Familie, übers Reisen, über die Zukunftsaussichten in Paraguay und vieles mehr.
Der nächste Tag bringt uns eine ebenfalls sehr nette, aber wieder ganz andere Begegnung.
Beim Mittagessen treffen wir auf Rosi und Klaus aus der Pfalz, beide Mitte 70. Sie sind auf ihrer Reise durch Südamerika vor ca. 10 Jahren im Chaco hängengeblieben. Nachdem sie eine Zeit lang in einem mennonitischen Dorf gelebt haben, wohnen sie jetzt “mitten im Busch“ (Zitat Rosi).
Rosi hat viel Interessantes über das Leben in Paraguay zu erzählen, z.B.: dass Korruption hier ganz normal ist; dass sie aufgehört hat, barfuß zu laufen (zu viele Skorpione, Schlangen u.ä.); dass sie einerseits den Zusammenhalt der Mennoniten sehr schätzt, andererseits aber auch schon die Schattenseiten dieser verschworenen Gemeinschaft erleben musste; dass man im Chaco eine sehr gute ärztliche Versorgung hat und, dass es hier mittlerweile richtig leckere Leberwurscht gibt.
Am späten Nachmittag lernen wir ihre mennonitischen Freunde, Elsie und Victor, kennen. Die beiden führen ein arbeitsreiches und hartes Farmerleben, fest verwurzelt in ihrer Glaubensgemeinschaft. Sie konnten im Laufe der letzten Jahrzehnte selbst miterleben, wie sehr der Anschluss an die Transchaco das Leben hier in der Region verändert hat. Im Gegensatz zu den Mennoniten im Osten Paraguays, die dem Fortschritt abschwören, sich traditionell kleiden und ein bequemes Leben mit Technik ablehnen, sind die Mennoniten des Chaco sehr fortschrittlich. Sie tragen moderne Kleidung, fahren Autos, benutzen Handys und haben auch keine Scheu mit Nicht-Mennoniten in Kontakt zu treten. So auch Elsie und Victor. Sie fragen in etwas antiquiertem Deutsch nach unserer Reise und zeigen sich an unseren Erlebnissen interessiert.
Am nächsten Tag geht´s (in Schlangenlinien) auf der Transchaco nach Mariscal Estigarribia. Die Straße ist zwar asphaltiert, aber voll riesiger Schlaglöcher…
In Mariscal (ca.1000 Einwohner) fühlt man sich dem Ende der Welt schon ziemlich nah.
Lange, ausgestorbene Straßenzüge, viel Staub, ab und zu rauscht ein LKW vorbei, dann ist wieder Stille…
Aber jedes Jahr im September ist hier die Hölle los. Dann startet nämlich die Rallye Transchaco und Mariscal ist Dreh- und Angelpunkt dieser Veranstaltung.
Außerdem gibt es hier einen großen Flughafen mit riesigem Radarsystem und Unterkünften für 16000 (!) Personen.
Er wurde vor Jahrzehnten aus unbekannten Gründen von den USA gebaut- angeblich als Entwicklungshilfe. Als 2005 auf dem Gelände über 1000 US-Truppen stationiert werden sollten, gelang es der Bevölkerung vor Ort, diesen Plan zu boykottieren. D.h. insgesamt wurde der Flughafen genau einmal benutzt – nämlich 1988 von Papst Johannes Paul II, der der indigenen Bevölkerung des Chaco damit einen Besuch abstattete.
Für uns ist die wichtigste Einrichtung in diesem Ort das Zollamt.
Wir haben vor, über den trockenen Chaco nach Argentinien zu fahren und müssen deshalb bereits hier, 250 km vor dem Grenzübergang, unseren Papierkram für den Zoll erledigen.
Nachdem das gemacht ist, fahren wir los in Richtung Pozo Hondo. In den nächsten fünf Stunden begegnen wir genau einem weiteren Fahrzeug – und zwar am Ortsausgang von Mariscal. Danach begleiten uns Riesenheuschrecken, die immer wieder mit ihren blauen Flügeln an uns vorbeischwirren und die Staubfahne, die wir hinter uns her ziehen.
Der Himmel ist ziemlich bewölkt und unsere größte Sorge ist, dass es anfängt zu regnen und sich die Piste in Schmierseife verwandelt. Aber wir haben Glück, außer ein paar zaghaften Tropfen fällt nichts vom Himmel…
Am frühen Nachmittag kommen wir in Pozo Hondo an.
Das ist vielleicht nicht das Ende der Welt (auch wenn es sich schon wieder stark danach anfühlt) aber auf jeden Fall das Ende unserer Paraguay-Reise.
Wir passieren den paraguayischen Grenzposten (der nicht besetzt ist… Siesta…), überqueren die Brücke am Pilcomayo und checken im argentinischen Zollamt ein.
Auf argentinischer Seite erwarten uns zwei gut gelaunte junge Zöllner. Sie sind erstaunt, hier Touristen aus Europa zu sehen – wir sind tatsächlich die ersten, die hier über die Grenze wollen. Daher dauert es eine Weile und mehrere Telefonate, bis das passende Formular für unser Fahrzeug gefunden ist. Wir bekommen ganz offiziell die Nummer 001 und je einen Stempel in unsere Pässe. Argentinien, wir kommen!
P.S.
Paraguay ist ein spannendes Land.
Mit viel Licht, aber auch viel Schatten. Nirgendwo haben wir bisher so viel Reichtum und Armut bzw. modernes und traditionelles Leben parallel nebeneinander gesehen.
Korruption ist ein großes Thema, obwohl wir persönlich keine negativen Erfahrungen mit Behörden oder Polizisten machen mussten.
Das Land bietet viel Raum für die unterschiedlichsten Lebensentwürfe – auch hier, im Guten wie im Schlechten. Durch die Offenheit und Herzlichkeit der Menschen in Paraguay, bekamen wir oft die Gelegenheit von den verschiedensten Lebensentwürfen zu hören, bzw. sie uns persönlich anzuschauen und zu erleben. Danke!