Paraguay / Mitte

Über Santa Rosa fahren wir zur Laguna Blanca.
Das Naturreservat der Lagune, ein beliebter Ort für Ornithologen, ist leider wegen Familienstreitigkeiten (vorübergehend) geschlossen. Aber da das Thermometer 40 Grad anzeigt und es am anderen Ufer der Lagune einen netten Campingplatz mit weißem Sandstrand, Stroh-Sonnenschirmen und Bademöglichkeit gibt, schlagen wir hier kurzentschlossen unser Lager auf. Badesachen an und ab ins kühle Wasser!

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Es ist wieder Sonntag und somit viele Paraguayer mit Kind und Kegel und/oder Freunden unterwegs, um ihr Wochenende im Grünen zu verbringen und der Hitze in den oft staubigen Dörfern bzw. Städten zu entgehen – dieses Mal gibt´s sogar Live-Musik.

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Vor Ort lernen wir vier junge Studierende aus Santa Rosa kennen, mit denen wir schnell ins Gespräch kommen und die uns zum Tereré einladen. Wir tauschen uns über das Leben und Reisen in Paraguay aus, bekommen neue Reisetipps und erfahren u.a., dass es einen berühmten Marien-Wallfahrtsort in Süd-Paraguay gibt, zu dem jedes Jahr am 8. Dezember über eine Mio. Menschen pilgern, u.a. auch Christian und Kiki.
Das Ganze funktioniert folgendermaßen: ich treffe mit der Maria von Caacupé zu Jahresbeginn eine Vereinbarung, bei der ich verspreche, am 8. Dezember nach Caacupé zu pilgern, wenn sich im Laufe des Jahres Wunsch XY zu meinen Gunsten erfüllt. Da die Pilger über große Strecken zu Fuß, mit dem Fahrrad, auf Knien, mit Bussen und Autos nach Caacupé kommen, muss die Polizei teilweise die Straßen für den normalen Straßenverkehr absperren. Außerdem gibt es unterwegs Verpflegungsstationen für die Pilger. Wie bei der Tour de France!

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Am Nachmittag treffen wir auf Gustavo, Zulma, Rafa, Diana und ihre Kinder. Nach einem kurzen Smalltalk laden sie uns spontan zum gemeinsamen Asado ein.
Wir tauschen uns u.a. wieder über Reiseziele in Paraguay aus und sie empfehlen uns, den Nationalpark Cerro Corá, einen der berühmtesten Orte Paraguays zu besichtigen. Hier starb 1870 General Lopez (Zitat: „Ein Paraguayer ergibt sich nicht“), der größte Nationalheld Paraguays. Neben der historischen Bedeutung für Paraguay, sei Cerro Corá auch landschaftlich sehr schön – und wenn wir wollten, könnten wir ja im Anschluss auch noch nach Pedro Juan de Caballero kommen.
Am Abend erzählt uns Raffa noch, dass er ein kleines Restaurant in Pedro Juan betreibt und berühmt für seine leckeren Hamburger ist. Außerdem habe er mehrere Jahre in Spanien als Koch gearbeitet und könne von Paella bis Falafel alles kochen. Wir sind begeistert! Das hört sich gut an! Auf die Frage, wie seine Heimatstadt Pedro Juan so ist, antwortet er: alles tranquilo, kein Problem, gemütliche Stadt.

Am nächsten Morgen fängt es an zu gewittern. Wir packen zügig unsere Sachen ins Auto, um möglichst schnell loszufahren, da die Strecke bis Santa Rosa mehr als schlecht und Fahren im Regen so eine Sache für sich ist…
Bevor wir aber loskommen, verplaudern wir uns mit Pedro, dem Besitzer der Lagune. Er hat mit seinen 50 Jahren schon ein ziemlich bewegtes Leben hinter sich: Latein und Theologie studiert, war dann Pfarrer, hat sich aber irgendwann verliebt, geheiratet, zwei Söhne bekommen, einen großen Supermarkts in Santa Rosa geleitet und schließlich das Grundstück an der Lagune gekauft und zum Campingplatz ausgebaut. Und ruckzuck ist sowohl die Zeit als auch die Regenpause vorbei und wir fahren doch im heftigsten Regen los…. na super…!

 

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Auf dem Weg zum Nationalpark Cerro Corá ändert sich die Landschaft: es wird hügeliger und grüner, wir sehen die ersten Tukane vorbeifliegen.
Am Parkeingang steht ein kleines Museum, das sich mit den Hintergründen und dem Ablauf des Krieges von 1870 (Paraguay gegen Brasilien, Argentinien und Uruguay) beschäftigt. Dazu nur so viel: für die Paraguayer war Mariscal Lopez der größte Volksheld, für die gegnerischen Länder der schlimmste Diktator.
Im Park kann man auf Schritt und Tritt an Originalorten die letzte Schlacht von Lopez auf Tafeln (teilweise mit Zitaten oder Auszügen von Augenzeugenberichten) verfolgen. Der Geschichte zufolge starb er mit einer Lanze in den Rippen, einem Schwert in seinem Kopf und einer Kugel in seinem Herzen mit den Worten: „ Ich sterbe für mein Land!“
Der Park ist ein beliebtes Ausflugsziel für Schulklassen, die hier busseweise ankommen und natürlich auch Ort der offiziellen Feierlichkeiten am 1.März, dem Nationalfeiertag Paraguays.

Nach Besichtigung der historischen Stätten, schlagen wir in der Mitte des Parks unser Nachtlager auf, machen noch einen kleinen abendlichen Rundgang, um Schmetterlinge und sonstige Tiere zu fotografieren und gehen dann ins Bett.

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Unsere Reise führt uns am nächsten Morgen weiter nach Pedro Juan de Caballero. Wir wollen kurzentschlossen Rafa und Diana besuchen, dort einen von Rafas berühmten Hamburgern essen und wieder weiterfahren. Unterwegs lässt mich ein Blick in den Reiseführer etwas stutzen: von wegen tranquilo! Pedro Juan ist demnach eine berüchtigte Waffen- und Drogenhochburg, in der sich Mitglieder von Motorradgangs am helllichten Tag gegenseitig erschießen. 2014 gab es hier in den ersten 5 Monaten 38 Morde!

Rafa und Diana sind schnell gefunden – ihre Hamburgueseria ist leider erst am Abend geöffnet. Sie sind überrascht, uns so schnell wieder zu sehen, freuen sich aber sehr und laden uns ein, eine Nacht zu bleiben. Wir müssten uns keine Sorgen machen: diese Gegend der Stadt sei ruhig und die Drogendealer würden sich außerdem immer nur gegenseitig erschießen.
Auf der gemeinsamen Fahrt zur nächsten Tankstelle, greift Rafa wieder das Thema Kriminalität auf: so schlimm sei es hier garnicht, es seien nur 20%. Burkhard versucht rauszubekommen, was diese ominösen 20% bedeuten: 20% Morde im Monat? 20% der Bevölkerung sind kriminell? Bleiben 20% der Fälle ungelöst? Rafa zuckt mit den Achseln. Irgendwie weiß er auch nicht, auf was sich diese offiziellen 20% genau beziehen. Es würde immer heißen, es sind nur 20% und das sei wenig.

Am Abend bereitet Rafa eine vorzügliche Paella zu, die wir gemeinsam mit Familie, Freunden und Nachbarn essen und Burkhard hilft begeistert in der Küche mit. Endlich wieder kochen!
Als Vorspeise gibt es eine „sopa paraguaya“, eine Art Polenta. Ursprünglich war diese Spezialität wirklich mal eine „Sopa“, also eine Mais-Suppe, bis zu dem Zeitpunkt, als der Leibkoch von General Lopez sie zu lange auf dem Herd gelassen hat, somit aus der „Sopa“ eine Maisschnitte wurde und Mariscal Lopez davon total begeistert war.

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Es wird ein vergnügter Abend mit gegenseitigen Geschenken, kurzweiligen Gesprächen und viel Bier. Immer wieder kommt der schlechte Ruf der Stadt zur Rede. Ein Freund von Diana, Flavio berichtet, dass, sobald man erzählt, dass man aus Pedro Juan komme schief angeschaut werde und die Leute von einem abrücken – sogar in Asuncion! Dabei sei hier viel sicherer zu wohnen als in der Hauptstadt, denn normale Verbrechen wie Hauseinbrüche und Diebstähle gäbe es hier quasi nicht.

Anschließend übernachten wir in unserem Auto vor dem Haus der Nachbarin und Freundin Zulma. Nachts höre ich, während Burkhard friedlich neben mir schläft, lautes Motorradgeheul und mehrere Schüsse – glücklicherweise ein paar Quadras entfernt. Ich rufe mir die Bemerkung, dass die Dealer sich immer nur gegenseitig erschießen in Erinnerung und hoffe, dass die Gangs das auch wissen…

 

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Am nächsten Morgen frühstücken wir gemeinsam bei Zulma. Als ich ihr von den Schüssen berichte, antwortet sie, dass das leider regelmäßig vorkomme und zeigt uns auf ihrem Handy Fotos von Waffen- und Drogenfunden der letzten Nacht. Sie selbst fühle sich in der Stadt nicht bedroht – Angst habe sie nur um ihre zwei jüngsten Kinder, da es in Pedro Juan sehr leicht wäre, an Drogen und somit auf die schiefe Bahn zu geraten. Deshalb versucht sie ihnen regelmäßig Freizeitbeschäftigungen in drogenfreien und stabilen Gruppen (Tanzgarde, Musikverein etc.) zu ermöglichen. Und eine gute Nachbarschaft, in der man sich gegenseitig hilft und aufeinander achtet sei sowieso unverzichtbar. Das können wir bestätigen!

Als Abschiedsgeschenk organisieren uns Rafa und Diana einen riesigen (extra angefertigten) Paraguay-Aufkleber, den wir feierlich an unserem Auto anbringen.

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Wir fahren weiter Richtung Westen nach Belén ins „Granja El Roble“. Hier treffen wir auf die Familie Gärtner: Peter, Andresa und ihre Kinder Nestor, Hannibal und Ameli.
Peter ist vor über 25 Jahren von Deutschland nach Paraguay ausgewandert, hat sich ein Grundstück gekauft, vollständig aufgeforstet und es zu einem einzigartigen Ort gemacht. (Zitat Peter: „Auswandern ist ganz einfach. Man muss nur die ersten 20 Jahre irgendwie überstehen, dann läuft´s schon…!“)
Hier ist alles sehr naturnah. D.h. an manchen Tagen sieht man selbst auf den Klos interessantere Tiere, als in manch einem paraguayischen Nationalpark.

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Außerdem gibt einen genial kühlen Trinkwasserpool (den man sich mit ein paar Fröschen teilt), viele bunte Vögel, Echsen in verschiedenen Größen, die über die Terrasse laufen, Fische im Teich, Schweine auf der Weide und da die Familie auch eine Art Auffangstation für misshandelte Tiere ist, lernen wir noch zwei kontaktfreudigen Brüllaffen, einen schmusebedürftigen Tapir und einen neurotischem Papagei kennen.

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Am Abend fängt es an zu regnen und wir nutzen die Gelegenheit, mal wieder Musik zu machen. Ich erzähle Peter, dass in unserem Programm noch ein paraguayisches Lied fehlt und kurzerhand organisiert er ein Treffen mit Crescencio, einem Musiker aus Conception.
Am nächsten Tag erscheint er mit einer Liedermappe und seinem Meisterschüler Benjamin. Wir studieren das paraguayische Lied „Pajaro Chuy“ ein, spielen gemeinsam noch einige Lieder aus unserem „Südamerika-Programm“ und Crescencio lädt uns ein, im Rahmen des Konzertes der örtlichen Musikschule von Conception als Gäste aufzutreten.

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Einen Tag später ist es soweit: gemeinsam mit Andresa, Nestor und Jonas, einem schweizer Koch (und ebenfalls Gast im El Roble) fahren wir nach Conception zum Auftritt.
Als wir am Marktplatz ankommen, spielt gerade die Geigengruppe der Musikschule auf. Vor der Bühne befinden sich mehrere Sitzreihen mit Familienangehörigen und Interessierten. Und ruckzuck bittet uns Crescencio offiziell nach vorn, interviewt uns zur Reise und zu unseren Instrumenten (besondere Aufmerksamkeit bekommen Burkhards Ukulele -Bass und der dazugehörige Mini-Verstärker) und wir spielen mit Unterstützung von Benjamin und Nestor zwei Songs. Irgendwie ist die Anlage übersteuert und es krächzt und knackst durch die Nacht – außerdem habe ich geschickterweise teilweise sowohl Text als auch Melodie von „Imik si mik“ vergessen… aber vor uns sitzt ein uns wohlgesinntes Publikum und alles ist gut. Danach füllt sich die Bühne mit einer ca. 30köpfigen Gitarrenklasse und es werden traditionelle paraguayische Lieder mit viel Patriotismus und Herzblut vorgetragen.

Im Anschluss an das Konzert werden wir von Benjamins Eltern nach Hause eingeladen. Wie wir verblüfft vor Ort feststellen können, gehört ihnen der Radio- und Fernsehsender Conception und eine Karaoke-Disco.
Nach der Besichtigung des Senders, versacken wir gemeinsam mit Andresa, Nestor, Jonas, Crescencio, seiner Freundin, Benjamin und seinen Eltern in der (an diesem Tag eigentlich geschlossenen) Disco: es gibt viel Cerveza und wir singen hemmungslos bis morgens um halb drei Karaoke…

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Am nächsten Tag räumt Andresa, die übrigens ganz hervorragend kocht, für uns ihre Küche:
Jonas und Burkhard dürfen im El Roble an den Herd! Sie bereiten eine saarländische Spezialität (Flammkuchen – für „Geheirate“ o.ä. war´s bei 40 Grad im Schatten einfach zu heiß!) und schweizer Spezialitäten (Rösti & Brombeerwähe) zu.

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Peter und Andresa sind mit ihrem Hof fast vollständig Selbstversorger. Sie bauen Gemüse und Obst an, halten neben Fischen und Hühnern auch Schweine (die Kühe sind mittlerweile „outgesourct“) und stellen u.a. Würste, Schinken, Käse, Marmeladen, Schnäpse u.v.m. her. Und an diesem Tag ist Schlachttag: die Sau ist dran.
Da es als Fleischfresser eigentlich schon sinnvoll und wichtig ist zu wissen, wie das Steak o.ä. auf den Teller kommt, schauen sich Burkhard und Jonas furchtlos und konsequent die Schlachtung an. Ich kann mich erfolgreich drücken…

vorher

nachher

 

Nach einer erlebnisreichen und sehr schönen Woche im „El Roble“ ziehen wir, mit einem nächtlichen Zwischenstopp am kristallklaren und fischreichen Rio Tagatijá, weiter Richtung Nordwesten ins Chaco.

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