Wir fahren über steile Serpentinen den Canon de Chicamocha hinab bis nach Bucaramanga.
Die Temperaturen steigen mit jedem fallenden Höhenmeter ordentlich an. Nach einem kurzen Zwischenstopp geht es weiter ins karibische Tiefland nach Aracataca.
Aracataca – dieses verschlafene karibische Dorf ist Geburtsort des berühmten Nobelpreisträgers Gabriel Garcia Marquez und hat viele seiner Bücher inspiriert.
Es ist sehr heiß und drückend schwül. Die meisten Einwohner sitzen auf ihrer Veranda, hören ohrenbetäubend laut Musik und schaukeln in ihren geflochtenen Schaukelstühlen vor sich hin. Mitten durch das Dorf führt eine Eisenbahnlinie. Alle halbe Stunde rattert hier ein langer Güterzug mit Kohlen entlang – allerdings ohne jemals am Bahnhof anzuhalten. Die Eisenbahnstrecke ist ein Überbleibsel der United Fruit Company, die zu Beginn des letzen Jahrhunderts in dieser Gegend mit ihren Bananenplantagen Hauptarbeitgeber war.
Im Ort gibt es eine Gabriel Garcia Marquez Gedenktafel, ein entsprechendes Museum (leider geschlossen) und ein vom Reiseführer empfohlenes Hotel (leider ebenfalls geschlossen).
Frei zu campen ist uns in dieser Gegend etwas zu heikel, aber nach längerer Suche entdecken wir am Dorfrand doch noch ein Gebäude, das aussieht wie ein Hotel. Es gibt hier einen Innenhof, wo wir unser Auto sicher parken könnten. Wir fahren vor, fragen nach und erfahren, dass das Hotel ein Motel ist und Zimmer stundenweise gebucht werden können – eine ganze Nacht wäre aber auch möglich. Wir entschließen uns zu bleiben, machen uns ein kühles Bier auf, setzen uns im Hof unter einen Mangobaum und beobachten das bunte Treiben um uns herum.
Motels sind in Südamerika weit verbreitet. Da die meisten jungen Erwachsenen noch bei ihren Eltern leben ist das Motel der einzige Ort, um sich ungestört mit seiner/seinem Liebsten zu treffen.
Auch bei außerehelichen Affären steht das Motel hoch im Kurs. Deshalb ist Diskretion hier das Wichtigste: zu jedem Zimmer gehört eine Garage (entweder für Auto oder für Moped), in dem man sein Fahrzeug ungesehen parken kann, jedes Zimmer hat ein Telefon, eine Preisliste für Stundenpreise, Getränke und Snacks und eine Klappe nach außen, über die man den Besitzer bezahlen oder kommunizieren kann.
Am nächsten Tag geht es weiter Richtung Cartagena.
Wir befinden uns im Grenzgebiet zu Venezuela und an den Straßenständen schießen illegale Tankstellen wie Pilze aus dem Boden.
(Da in Venezuela der Kraftstoff staatlich subventioniert ist, kostet er nur einen Bruchteil des kolumbianischen und der Schwarzmarkt blüht!)
Als wir in Barranquila (übrigens die Geburtsstadt von Shakira) ankommen, fängt es an zu regnen. Auch der Verkehr wird immer zähflüssiger und kommt schließlich zum Erliegen. Neben uns quält sich ein Taxi durch. Plötzlich wird das Fenster herunter gekurbelt, eine junge Kolumbianerin winkt uns lachend zu und fragt: „Was macht denn ihr Saarbrücker hier?“ (Tja. Die Welt ist klein. Die gute Frau hat ein paar Jahre in Kaiserslautern gelebt und war über diese Begegnung nicht weniger erstaunt als wir.)
Weiter geht es im Schritttempo. Wir versuchen den Stau zu umfahren, verlassen die Hauptstraße und sehen, nachdem wir ein paar Quadras passiert haben auch, warum hier nichts mehr geht – der Regen hat die Straßen in reißende Flüsse verwandelt.
An ein Überqueren der Straße ist nicht zu denken, zu stark ist die Strömung. Jugendliche legen sich mit dem Bauch auf Styroporplatten und surfen die Straßen hinunter. Fasziniert von diesen Wassermassen steige ich aus, um Fotos zu machen. Plötzlich tippt mir jemand von hinten auf die Schulter. Ein freundlicher älterer Mann spricht mich an: es wäre keine gute Idee hier Fotos zu machen, diese Gegend sei nicht gerade die beste der Stadt (er macht pantomimisch eine Schießbewegung) und es sei besser, wenn wir mit unserem Auto wieder Richtung Hauptstraße fahren würden. Am besten sofort. Ok. Danke für den Tipp und weg sind wir.
Irgendwann hört der Regen auf und wir können weiter nach Cartagena fahren.
Die Stadt macht ihrem Ruf als „Perle der Karibik“ alle Ehre:
schöne Kolonialarchitektur, über die kopfsteingepflasterten Sträßchen fahren Pferdekutschen (oft mit Hochzeitspaaren), baumbestandene schattige Plazas, karibische Musik und Tänzer an jeder Ecke…
(Das Ganze versprüht einen fast übertrieben märchenhaften Charme- teilweise hat man das Gefühl in „Disneyland Karibik“ herumzulaufen.)
Cartagena war ebenfalls Quelle der Inspiration für Gabriel Garcia Marquez und findet sich ausschnittsweise in seinen Büchern wieder. Es gibt García Marquez Stadtrundgänge, die zu den Schauplätze seiner berühmtesten Bücher führen.
Und nicht zu vergessen. Hier ist es heiß. Sauheiß. Weit über 40 Grad im Schatten und obwohl wir an der karibischen Küste sind, gibt es kaum Abkühlung. Selbst die Einheimischen leiden unter der extremen schwülheißen Hitze…
Und, hier ist alles ziemlich teuer. Kein Wunder – Cartagena ist Anlaufstelle sehr vieler Kreuzfahrtschiffe, deren Klientel in den Geschäften vor Ort ordentlich einkauft. Besonders beliebt: Goldschmuck und Smaragde.
Aber wir sind hier nicht zum Spaß. Unser Sabbatjahr neigt sich dem Ende zu, und wir wollen unseren Landcruiser wieder nach Deutschland verschiffen.
Damit alles problemlos verläuft, haben wir vor einigen Monaten eine deutsche Agentur beauftragt, die uns bei den Formalitäten hilft.
Da Kolumbien als Drogen-Export-Land Nr. 1 gilt, sind die Zoll-Kontrollen hier berüchtigt und gefürchtet.
D.h.: bevor man sein Auto vom kolumbianischen Zoll untersuchen lässt, muss man es sorgfältig sauber machen (Innen und Außen) und packen und zwar so, dass nichts lose im Innenraum herumliegt.
Denn es kann sein, dass man das Auto teilweise wieder auspacken muss, falls der Zollbeamte sich einige Fächer näher anschauen möchte.
Gemeinsam mit einer Gruppe von vier Männern (2 Franzosen, 1 Deutscher, 1 Amerikaner), die ebenfalls ihre Fahrzeuge mit der Agentur verschicken, reisen wir zum ersten Termin am kolumbianischen Zoll im Hafen von Cartagena an.
Die normale Zollkontrolle ist schnell erledigt.
Papiere ausfüllen, der Zollbeamte wirft einen Blick in den hinteren Teil vom Cruiser, ich parke das Auto auf dem Zollgelände, gebe den Autoschlüssel ab und fertig.
Zwei Tage später folgt Termin Nr. 2 – die berüchtigte Drogenkontrolle. Wieder sind wir zu fünft und werden zu unseren geparkten Autos gefahren.
Die Fahrerseiten von den Autos sind aufgesperrt und alle Schlüssel stecken im Zündschloss. Alle, außer meine.
Ein Zollbeamter fragt mich, wo meine Autoschlüssel seien. Ich schaue ihn fragend an. Wie? Die Autoschlüssel sind nicht da? Habe ich doch hier vor zwei Tagen abgegeben!!! Mir wird erklärt, dass die Schlüssel verschwunden sind, ein Ersatzschlüssel gebraucht wird und die Fahrerseite unseres Cruiser mit einem anderen Schlüssel aufgesperrt worden sei. (Auf dem Gelände, in unmittelbarer Nähe stehen fünf Toyota-Landcruiser-Oldtimer, die auf ihre Verschiffung nach Florida warten und mit einem Schlüssel von denen, konnte man offensichtlich unser Auto öffnen. Erstaunlich!)
Dummerweise weiß ich nicht sicher, wo sich aktuell die Ersatzschlüssel des Cruisers befinden. Und noch blöder ist, dass ich Burkhard nicht erreichen kann, da wir nur ein Handy haben (und das habe ich dabei) und Burkhard im Hotel nicht zu erreichen ist – vermutlich sitzt er irgendwo in einem Restaurant…
Mittlerweile ist der Zollbeamte der Drogenpolizei auf dem Gelände eingetroffen. Heute ist sein erster Tag im neuen Job und ich bin seine erste Kundin.
Auch das noch! Na toll! Der will das bestimmt sehr korrekt machen… ich sehe mich in Gedanken schon das schwere Dach aufstemmen und alle Fächer aus- und wieder einräumen…
Aber zuerst einmal klettere ich von vorne nach hinten, um alle Türen des Cruisers zu öffnen, damit der gute Mann mit seiner Kontrolle beginnen kann.
Meine vier Begleiter lächeln mir aufmunternd zu. Daumen nach oben. Wird schon alles gut gehen!
Der Zollbeamte öffnet die Fahrertür, sieht sich den vorderen Bereich an und macht Fotos mit seinem Handy.
Dann dreht er sich zu mir um, grinst mich an, drückt mir sein Handy in die Hand und bittet mich, Fotos von ihm zu machen, während er sich das Auto anschaut. Ist ja sein erstes Auto und so…
Nach insgesamt 5 Minuten ist das Auto komplett durchgeschaut (dabei öffnet er ein paar Klappen, räumt aber netterweise nichts aus) und jetzt sind die anderen dran. Anschließend wird noch ein Spürhund ins Auto gelassen.
Während der nächsten Stunden scheuche ich die Zollbeamten durchs Gelände, damit sie den verlorenen Schlüssel finden, durchsuche den Cruiser nach unserem Ersatzschlüssel, versuche Burkhard telefonisch zu erreichen und fluche vor mich hin. Das Frachtschiff, das unsere Autos mitnehmen soll hat schon angelegt und soll in wenigen Stunden wieder ablegen. Und wenn der Ersatzschlüssel bis dahin nicht vorliegt, wird’s kompliziert…
Kurz und gut: wir haben es auf den allerletzten Drücker geschafft, unsere Ersatzschlüssel im Hafen von Cartagena abzugeben.
(Die Ersatzschlüssel waren, wie erhofft, bei Burkhard im Hotel. Burkhard war, wie erhofft, ebenfalls im Hotel. Warum die Rezeptionistin am Telefon behauptet hat, Herr Stutz wäre nicht da, ist mir bis heute ein Rätsel!)
Aber Ende gut, alles gut.
Ab jetzt sind wir mit Rucksack und öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs.
Unser erstes Ziel ist Mompox.
Mompox liegt mitten auf einer Sumpfinsel im Bereich des Schwemmlandes von Rio Magdalena, Cauca und San Jorge.
Bis ins 19. Jahrhunderts war Mompox eine ernstzunehmende Konkurrenz für Cartagena, da der Handel zwischen Hochland und Küste vornehmlich per Dampfer auf dem größten Fluss Kolumbiens, dem Rio Magdalena, abgewickelt wurde. Als Stadt mit Flusshafen war Mompox zentraler Umschlagplatz für Edelmetalle, Häute, Hölzer und landwirtschaftliche Produkte und entwickelte sich Mitte des 16. Jahrhunderts zum Magnet für eine kreolische Aristokratie, die sich hier mit europäischem Luxus umgab und den schönen Künsten huldigte. Davon zeugen noch zahlreiche koloniale Bauten und Kirchen.
Alexander Humboldt, der hier 1801 forschte, notierte: „Mompós ist einer der heißesten Orte Amerikas. Dazu dieser Krokodilgeruch! (…) Trotz der Hitze und der Moskitos (sie stechen durch vier baumwollene Beinkleider hindurch, ich machte die Probe) habe ich in Mompós viel gearbeitet, über ein Dutzend Krokodile zerschnitten (…)“
1860 bescherte die Natur der Stadt allerdings ihren Untergang: großräumige ökologische Veränderungen der Sumpflandschaft um Mompox verlagerten den Lauf des Rio Magdalena so massiv, dass das Hafenbecken versandete und die Stadt damit komplett von der Außenwelt abgeschnitten wurde. Bis heute gibt es noch keine feste Straßenverbindung nach Mompox (allerdings wird z.Zt. an zwei Brücken gebaut).
Wir können Humboldt übrigens zustimmen – das mit den Moskitos und der unerträglichen Hitze stimmt immer noch. Krokodile haben wir zwar keine gesehen, dafür aber zahllose grüne Leguane, die in den Bäumen der Uferpromenade rumkrabbeln und hin und wieder Basilisken (auch Jesus-Christus- Echsen genannt, weil sie bei Gefahr über das Wasser laufen können).
In Mompox scheint die Zeit still zu stehen. Aufgrund der unerträglichen Hitze läuft das alltägliche Leben ziemlich verlangsamt ab. Wir spazieren, meist in den kühlen Morgenstunden, entlang der langen Fußwege, die parallel zum Flussarm verlaufen oder erforschen die kleinen Gässchen, die Callejones, die uns immer wieder zu interessanten Gebäuden bringen.
Man findet auffällig viele Schmuckläden. Die lokalen Handwerker sind über die Grenzen Kolumbiens für ihr Können bekannt: mit Pinzette und Lötkolben fertigen sie aus Silberdraht filigrane Schmuckstücke. (Am bekanntesten sind wahrscheinlich die kleinen silbernen Fische, die auch Gabriel Garcia Marquez in seinen Büchern literarisch verewigt hat.)
Da Mompox sehr katholisch ist, sieht man zahlreiche Kirchen (lateinamerikanischer Barock) und noch zahlreichere Prozessionen.
An einem Abend werden wir Zeuge einer dieser Prozessionen. Wir sitzen am Marktplatz im Schatten, zufällig mit Blick auf die Kirche, fächeln uns (lauwarme) Luft zu und trinken eiskaltes Bier. Nebenan sitzen an einem Tisch ein paar junge Männer, ebenfalls mit Bier. Offenbar Musiker. Trompete und Posaunen liegen in der Nähe. Aus der Kirche ertönt Gesang, vor der Kirche formiert sich allmählich eine Blaskapelle. Ungeduldig werden die restlichen Musiker, die immer noch mit ihrem Bier am Nebentisch sitzen zur restlichen Kapelle gerufen. Jaja, tranquilo. Nach und nach erheben sich unsere Sitznachbarn und trotten zur Kirche, deren Eingangstür schon weit geöffnet ist. Man sieht, wie sich die Prozession aus dem Inneren des Gotteshauses Richtung Ausgang bewegt, während der Trompeter seelenruhig noch sein Bier austrinkt und sich langsam in Bewegung setzt. Er kommt quasi zeitgleich mit dem Pfarrer, der die Prozession anführt, vor der Kirche an und schon beginnt die Musik…
Wir wollen weiter zur Isla Fuerte, einer kleinen karibischen Insel.
Als wir in Mompox nach der Insel fragen werden wir groß anschaut. Isla Fuerte? Wo soll die sein? Noch nie gehört…