Chile reicht mit einer Länge von 4300km von der Antarktis bis in fast tropische Breiten.
Man findet hier alles: eine der extremsten Wüsten, liebliche Gartenlandschaften, Vulkanismus, undurchdringlichen Regenwälder – dabei ist das Land im Durchschnitt gerade mal 180km breit.
Da hier an der Westküste Südamerikas drei Erdplatten aufeinandertreffen, gibt es in Chile vielerorts heiße (Thermal-) Quellen und überdurchschnittlich häufig Erdbeben, Tsunamis und Vulkanausbrüche.
Das große chilenische Erdbeben im Dezember 2016 (8,2) ist für uns selbst in Argentinien noch mit einer Stärke von 5,5 zu spüren!
Als wäre das Land nicht schon genug durch Naturgewalten gebeutelt, kommen 2017 noch große Waldbrände dazu… allerdings sind diese von Menschenhand gemacht.
Aber die Chilenen scheint trotzdem wenig zu schocken – sie gehen gelassen mit den alltäglichen Katastrophen um!
Wir folgen weiter der Ruta 40 in Richtung Süden und übernachten unterwegs am Lago Cholila.
Landschaftlich sehr schön, aber das Wetter ist mehr als wechselhaft – es regnet sich richtig ein…
Als wir uns am nächsten Morgen in der Haupthütte, dem einzig warmen und trockenen Ort des Campingplatzes, aufwärmen, treffen wir dort auf Fernando und Naty aus der Provinz La Pampa.
Sie sind bester Dinge und gerade dabei, ihr gesamtes Hab und Gut vor dem Kaminfeuer zu trocknen. Wir kommen ins Gespräch und sie erzählen uns, dass sie jedes Jahr ihren Winterurlaub in Patagonien verbringen, um dort zu zelten. Regen, Wind, Schnee, Kälte sind ihnen ziemlich egal – Hauptsache sie entkommen der Hitze ihrer Provinz! Ok. So haben wir das noch nie gesehen. Wir hören sofort auf zu jammern und sind froh, dass wir bei diesem Wetter wenigsten im Auto schlafen können! Da die beiden ebenfalls Richtung Süden reisen, bekommen wir einige gute Tipps für die Weiterfahrt.
Fernando findet die Sache mit dem Sabbatjahr übrigens super. Er bedauert allerdings, dass das für ihn, als freiberuflicher Leichenbestatter, leider nicht in Frage komme … Kundschaft und so…
Am folgenden Tag geht es weiter in den Nationalpark „Los Alerces“, benannt nach den patagonischen Riesenzypressen „Alercen“. Diese Bäume können, ähnlich wie die nordamerikanischen Mammutbäume, über 2500 Jahre alt werden!
Leider sind sämtliche Wanderwege und auch Flüsse wegen Sturmwarnung gesperrt. Dabei könnte man hier so schön Kanu fahren!
Immerhin finden wir einen netten Stellplatz in einem Myrthenwald und genießen bei der Weiterfahrt die Aussicht auf Wälder, Flüsse und Seen.
„Perito Moreno“, übersetzt: der Sachverständige Moreno. Im 19. Jahrhundert hat dieser argentinische Naturwissenschaftler v.a. Patagonien und dessen Flora und Fauna erforscht. Nach ihm wurde nicht nur ein Nationalpark und einer der bekanntesten Gletscher Argentiniens benannt, sondern auch eine kleine hässliche Stadt in Patagonien. Aus fahrtechnischen Gründen verbringen wir dort die Nacht auf einem ebensolchen Campingplatz, allerdings in sehr netter Gesellschaft!
Wir treffen auf die beiden Langzeitreisenden Mara und Mauro, beide aus den Dolomiten, die tatsächlich in einem halb so großen Cruiser (ohne Hubdach!) wie wir unterwegs sind! Sie sind auf der Flucht vor dem schlechten chilenischen Wetter, warten die Regenfront im trockeneren Argentinien ab und leiden ebenfalls unter den bescheidenen argentinischen Lebensmitteln…
Außerdem befinden sich u.a. auf dem Campingplatz: Jaime, der eigentlich aus Salta stammt, aber hier im Süden sein Glück als Arbeiter in einer Goldmine versucht und zwei junge Studenten aus Buenos Aires, auch auf der Flucht – allerdings vor der Hitze ihrer Heimatstadt.
Da es kalt und windig ist, verbringen wir zusammen den Abend im Gemeinschaftsraum: Burkhard bereitet ein großes Asado vor und Jaime backt für alle Empanadas. Anschließend wird noch gemeinsam Musik gemacht und gesungen. Zum Trinken gibt es Rotwein und Fernet-Cola, das Nationalgetränk der Argentinier (übrigens sehr lecker!).
Am nächsten Tag steht die „Cueva de los Manos“ auf unserem Programm.
Allein schon die Fahrt zu der Höhle mit den bedeutendsten prähistorischen Felszeichnungen Südamerikas ist beeindruckend. Kurz vor dem eigentlichen Ziel machen wir noch einen kleinen Schlenker durch die Nachbar-Schlucht…
Wieder auf der offiziellen Straße zurück, sind wir auch schon bald da:
90 Meter über der gewunden sattgrünen Schlucht des „Canon del Rio Pinturas“ prangen an 10m hohen Felsübergängen sensationell gut erhaltene Zeichnungen, darunter über 800 Hände in Rot, Gelb, Ocker und zwei in Grün. Die ältesten Darstellungen sind 13000, die jüngsten ca. 1300 Jahre alt. Ihre Bedeutung ist wissenschaftlich umstritten.
Auf unserer Weiterfahrt Richtung Süden, entdecken wir auf der Landkarte den Nationalpark „Perito Moreno“ mit dem See „Lago Burmeister“.
Burmeister? Burmeister? Kommt uns irgendwie bekannt vor. Da fahren wir mal hin!
100 km Schotterstraße später erreichen wir den Parkeingang und erfahren von der Parkverwaltung, dass sich momentan noch 5 andere Touristen im Park befinden.
Bei 115 000 km² Parkfläche hört sich das sehr übersichtlich an.
Am Lago Burmeister angekommen, bläst es uns fast ins Wasser… Solche Windböen haben wir bisher noch nicht erlebt!
Uns gefällt der Park mit seiner einsamen, wilden Andenlandschaft, den Gletscherseen, Lenga-Wäldern und vergletscherten Gipfeln.
Es ist zwar windig und kalt, aber wir sind quasi alleine unterwegs und können hier endlich wandern!
Also stellen wir den Cruiser ab, packen unsere Rucksäcke mit Schlafsäcken, Isomatten, Wasser, ein paar Nahrungsmitteln und machen uns auf zur nächsten unbewirtschafteten Hütte („Refugio“), um dort die Nacht zu verbringen.
Auf dem Hinweg haben wir zwar ordentlich Gegenwind, aber wir vermummen uns gut und wandern unverdrossen weiter.
Nach mehreren Stunden können wir eine kleine Hütte am Horizont erkennen. Super. Gleich da. Dann heizen wir den Ofen an, kochen Tee und haben die Hütte ganz für uns!
Beim Näherkommen sehen wir, wie sich die Tür des Refugio öffnet und uns jemand entgegenkommt.
Oh nein! Das Refugio ist schon besetzt… Ganze fünf weitere Touristen in diesem großen Nationalpark und jetzt das!
Wir treffen auf Flavio, einen jungen Parkranger in Ausbildung. Er erzählt uns, dass er, gemeinsam mit zwei Kollegen, vor einer halben Stunde hier angekommen sei. Wir schauen uns kurz mal in der Hütte um. Mmmh. Für zwei Leute ist die Größe super, drei geht auch noch, aber bei fünf wird´s richtig, richtig eng!
Allerdings seien seine beiden Kollegen mit Gepäck vorerst weiter bis zur nächsten Lagune gewandert, dort gäbe es auch ein Refugio, und je nach Wetterlage würden sie dort bleiben. Für heute bzw. morgen sei nämlich Schnee gemeldet.
Also gehen wir noch ein bisschen spazieren, sammeln Holz für den Ofen, bereiten das Abendessen vor, trinken gemeinsam Mate und warten darauf einen Puma zu sehen. Den soll´s hier nämlich laut Flavio geben.
Es wird dunkler und dunkler – aber wir bekommen an diesem Abend weder Puma noch die beiden Kollegen zu Gesicht.
Als wir am nächsten Morgen, nach einer zugigen Nacht auf dem kalten Hüttenboden, aufstehen, graupelt es und die Schneeballgrenze ist sichtlich gesunken. Wir frühstücken gemeinsam mit Flavio, verabschieden uns und wandern, diesmal mit Rückenwind und Schneeregen, zurück. Schön war´s!
Weiter geht es durch die Pampa nach El Chaltén.
Trotz Bleifuß fährt unser Cruiser streckenweise nur 70 … was ist denn jetzt los? Als wir bei einem Zwischenstopp kaum die Türen aufbekommen, löst sich das Rätsel von allein: wir haben Gegenwind! Und was für welchen! An der Natur kaum zu erkennen, da hier nur kurze Grasbüschel wachsen – an den Motorradfahrern, die uns windschief auf der Fahrbahn entgegen kommen schon!
Am frühen Abend erreichen wir den nördlichen Teil des NP „Los Glacieres“. Menschenmengenmäßig erwartet und hier das Gegenteil vom Nationalpark „Perito Moreno“: hier stapeln sich Touristen, Wanderlustige und Kletterer!
Wir steigen auf den stadtnahen „Mirador de los Condores“ und werden mit einer unverstellten Aussicht auf die eisverkrusteten Granitnadeln des Cerro Fitz (3445m) und des Cerro Torre (3128m) belohnt! Kondore sehen wir hier allerdings leider keine.
Am nächsten Tag campen wir am „Lago del desierto“.
Vom Campingplatz aus führt ein Wanderweg zum nahegelegenen Gletscher. Am Ufer des milchigblauen Gletschersees picknicken wir und genießen den Ausblick auf den Gletscher bzw. auf den nördlichen Teil des Fitzroy-Massivs.
Unser nächstes Ziel ist der südliche Teil des Nationalparks „Los Glacieres“: hier ist El Calafate, 222 km von El Chaltén entfernt, Dreh- und Angelpunkt.
Auf dem Weg dorthin entdecken wir von Weitem einige Greifvögel auf der Straße, die sich einen Kadaver teilen. Als sie unser Auto bemerken, fliegen sie weg – unter ihnen ein Andenkondor, einer der größten flugfähigen Vögel der Erde mit einer Flügelspannweite von bis zu 3,20m!
In El Calafate angekommen, lösen wir unser Weihnachtsgeschenk ein: eine Übernachtung auf einer Estancia am äußersten Ende des Lago Argentino.
Alles beginnt mit der vierstündigen Bootsfahrt zum Zielort, durch gletscherblaues Wasser, vorbei an Eisbergen und dem Gletscher Upsala.
Wer vermutet, dass so ein See kaum Wellen hat, irrt. Das Wetter ist stürmisch und vier Stunden lang werden wir hin und her und auf und ab und kreuz und quer geschüttelt.
Und wer jemals seekrank war, weiß wie lange sich vier Stunden anfühlen…
Da aber unser Steward Mathias mit fachmännischen Blick für potentiell gefährdete Personen eine dunkelgrüne Kotztüte (mit der Aufschrift „Cristina“ – kein Witz!) parat hat, kann eine größere Verschmutzung des Oberdecks in letzter Sekunde verhindert werden.
Nur gut, dass Burkhards Magen wesentlich robuster ist – sonst hätten wir keine Fotos von der Fahrt.
Auf der Estancia angekommen und mit festem Boden unter den Füßen, ist alles wieder gut. Wir beziehen unser Zimmer und freuen uns über den ungewohnten Luxus: es gibt sogar ein Badezimmer mit Wanne!
Nachmittags machen wir standesgemäß einen Ausritt über das Anwesen unserer Estancia.
Am nächsten Tag müssen wir wieder selbst laufen.
Auf dem Programm steht eine Wanderung durch die „Schlucht der Fossilien“ („Canadon de Fósiles“). Wir starten an einem schönen Aussichtspunkt mit Blick auf den Lago Argentino und drei Gletscher.
Als wir nachmittags wieder mit dem Boot nach El Calafate zurück fahren, zeigt sich der Lago Argentino von seiner besten Seite: friedlich und strahlend blau liegt er da, Wellen sind kaum vorhanden – als wäre nie etwas gewesen!
(Am Tag darauf ist der See allerdings wegen Sturmwarnung komplett gesperrt!)
Nach diesen Tagen völliger Abgeschiedenheit, stürzen wir uns in El Calafate wieder ins Getümmel. Wir wollen zum Gletscher Perito Moreno, dem unbestrittenen Star im südlichen Abschnitt des Nationalparks „Los Glacieres“! Bekannt für seine majestätische Schönheit und seine spektakulären Abbrüche („rupturas“). Alle paar Stunden kracht ein Eisbrocken in Größe eines Busses ab – dieses Schauspiel teilt man dann allerdings mit Tausenden anderer Touristen.
Von mehreren gut ausgebauten Fußwegen aus, schauen wir uns den Gletscher von oben bis unten an.
Und wer kommt hupend um die Ecke, als wir von einem der entfernteren Miradore einen letzten Blick auf den Gletscher Perito Moreno werfen?
„Señor Undertaker“ und seine Frau Naty. Wir werden im breitesten Argentinisch begrüßt und freuen uns, dass wir uns nach ca. 2500 km wieder getroffen haben! Die Welt ist doch klein.
Mit diesen schönen Eindrücken verabschieden wir uns auf ein Neues von Argentinien und fahren im Regen weiter in die benachbarte südchilenische Provinz Magellanes.
Unser Schiff hört auf den vertrauenswürdigen Namen „Grande Nigeria“ und soll uns in ca. 32 Tagen von Hamburg nach Montevideo bringen.
Bei der Anmeldung im Schuppen 48 erfahren wir, dass wir garnicht auf dem Schiff registriert sind. Das ist schon mal kein schlechter Anfang! Aber dann klärt sich doch alles noch.
Nach ca. 4 Stunden Wartezeit fahren wir auf´s Schiff und stellen fest, dass das Gefährlichste an Bord die bulgarischen (Renn-) Fahrer sind, die beim Ein- und Ausladen der zahlreichen Schrottautos für Afrika mit gefühlten 100 km/h, quietschenden Reifen und wilden Verfolgungsjagden durch die Gänge der Unterdecks peitschen. Nur gut, dass überall „SLOW!“ und „ Max. 20 km/h „steht.
Die Vermutung mit dem Koch hat sich bestätigt. Antonio KANN kochen. Allerdings sind Vitamine nicht so angesagt – also frisches Gemüse und Salat gab´s bis jetzt noch nicht, dafür aber täglich mittags und abends ein 3-Gang-Menü mit Pasta, Pizza, Pesce & Carne. (Gott sei Dank hat uns Luise in weiser Voraussicht eine große Dose mit Vitamin C – Tabletten geschenkt! An dieser Stelle nochmals DANKE!). Ach ja, morgens gibt’s auch Pizzabrot zum Frühstück.
Wir wissen allerdings nicht, ob wir nach 32 Tagen noch in unser Auto passen.
El Bolson:
die patagonische Stadt, in der wir in den nächsten Wochen unsere Spanisch-Kenntnisse um die Lektion „En el taller“ („In der Autowerkstatt“) erweitern dürfen. Seitdem beherrschen wir folgende Vokabeln wie im Schlaf: el pistón, la junta, los tornillos, la tapa, los repuestos, las válvulas, los injeciones u.v.m.
(Und nein, Stefan war definitiv nicht schuld!)
Außerdem lernen wir, dass der absolut ungünstigste Zeitraum in einer Werkstatt zu landen, genau jetzt, in der Vorweihnachtszeit ist. Denn dann ist es quasi unmöglich, fehlende Ersatzteile zu bekommen, weil sowohl der Beginn der großen Ferien als auch Weihnachten und Neujahr zusammenfallen und sämtliche Argentinier entweder kurz davor sind, in Urlaub zu fahren oder schon im Urlaub sind.
Aber Argentinier wären keine Argentinier, wenn sie nicht Weltmeister im Improvisieren wären (müssen sie bei 45 % Inflation jährlich auch sein…) und argentinische Automechaniker wären keine argentinischen Automechaniker, wenn sie nicht jedes Auto früher oder später wieder zum Laufen bringen würden.
Kurzum:
wir landen nach einigen Umwegen mit unserem Cruiser in der „Taller Gerardo“.
Dass Gerardo und Alessandro jedes Auto zum Laufen bringen, kann man an den Autos, die hier in der Werkstatt herumstehen gut sehen. Die beiden warnen uns aber schon beim ersten Treffen vor, dass wir für die Reparatur des Cruisers ausreichend Zeit mitbringen müssen…Vorweihnachtszeit und so… (Zitat Alessandro: „Der Winter hier in El Bolson kann sehr schön sein!“)
Fast täglich besuchen wir unseren Cruiser in der Werkstatt, fachsimpeln mit Alessandro auf Spanisch und nerven Gerardo mit unseren Fragen.
Außerdem nutzen wir die Zeit, um El Bolsón genauer kennenzulernen und die Gegend zu erkunden:
es gibt hier u.a. einen schönen Handwerkermarkt, jede Menge Hippies, hervorragende Hausbrauereien, tolle Wanderwege in der Umgebung, eine berüchtigte Eisdiele und eine Bäckerei, die richtig gutes Sauerteigbrot backt.
Es könnte also definitiv schlimmer sein!
Wir beziehen eine Cabana auf dem Campingplatz, mehr Stall als Hütte, aber das Ambiente passt gut zur Weihnachtszeit.
Ein paar Tage vor Heiligabend bekommen wir einen Trostbesuch von Marie-Karmen und Julen!
Die Einladung, gemeinsam mit ihnen Weihnachten 500 km nördlich bei ihren argentinischen Freunden zu feiern, müssen wir leider kurzfristig absagen, da die Reparatur des Cruisers sich doch noch länger hinzieht als geplant…
Mittlerweile kennen wir die halbe Stadt, werden in den Geschäften mit Handschlag begrüßt und vom eigenen Campingplatz-Hund begleitet.
Und dann, pünktlich zu Beginn des Neuen Jahres läuft unser Cruiser wieder (argentinische Speziallösung…) und wir können weiter in den patagonischen Süden fahren.
P.S.:
Unsere Top 5 in El Bolsón:
„El Almacen de Panes“ (Bäckerei); „La Maroma“ (Hausbrauerei); „Jauja“ (Eisdiele & Café); “Luz de Luna“ (tolles Restaurant in Lago Puelo) und last but not least: „Taller Gerardo“ (Autowerkstatt)
Unser Ziel ist Bariloche, denn hier sind wir in ca. zwei Wochen mit unserem Freund Stefan verabredet. Allerdings müssen wir bis dahin noch ca. 2800 km fahren – das entspricht ungefähr der Strecke von Saarbrücken bis Marrakesch, liegt also quasi um die Ecke.
Abgesehen von den riesigen Entfernungen innerhalb Argentiniens, scheint hier prinzipiell alles etwas größer und imposanter zu sein als Sonstwo. Beim Smalltalk mit Argentiniern gibt es nämlich kaum einen Satz ohne Superlative oder Ausdrücke wie „barbaro“ (überwältigend), „espectacular“ oder „hermoso“ (wunderschön)!
Die Straße, auf der wir größtenteils bis nach Bariloche fahren wollen, ist die berühmte (teils geschottert, teils geteerte und teils noch nicht fertig gestellte…) Ruta 40. Der Traum aller Motorradfahrer!
Es sind auch einige Radfahrer unterwegs, aber die müssen hart im Nehmen sein, da die Argentinier einen digitalen Fahrstil haben und die Schotterstraßen (tatsächlich) spektakulär stauben!
Mit ihren 5224 km führt die Ruta 40 von der bolivianischen Grenze bis zur südpatagonischen Atlantikküste durchs ganze Land. (Aber Achtung: noch nicht alle Teilstücke der Ruta 40 sind miteinander verbunden, obwohl es so auf einigen Karten dargestellt wird… D.h. es kann zu unvorhergesehenen Umleitungen kommen!)
Eine unserer ersten Anlaufstellen im andinen Nordwesten ist Salta. Die Stadt, eingebettet zwischen grünen Hügeln zu Füßen der Anden, bekannt für ihre gepflegte spanische Kolonialarchitektur, nennt sich auch „La Linda“, die Hübsche. Ob Rathaus, Kathedrale oder Kirche San Francisco, sie gehören zu den schönsten Bauwerken des Landes!
Abends bummeln wir über die zentrale „Plaza 9 de Julio“: es ist sommerlich warm, man hört hier und da Gitarrenmusik, die Tische vor den Restaurants und Bars sind gut gefüllt, vor der Kathedrale wird mit großen Transparenten lautstark demonstriert … – ein typischer Sommerabend in Argentinien.
Von Salta aus fahren wir weiter nach Cafayate. Zunächst passieren wir die Wälder der Yungas und den See „Dique Cabral Carol“.
Dann beginnt die Fahrt durch die „Quebrada de Cafayate“. Die Landschaft erinnert an ein geologisches Freilichtmuseum: man sieht saftige grüne Täler, ein ausgetrocknetes rotes Flussbett, skurrile Felsformationen, völlig verschiedenartige Gesteinsablagerungen, einige diagonal, andere vertikal, alles in verschiedenen Orange- und Brauntönen…
In Cafayate (1685 m), einem schönen Städtchen mit baumbestandenen Straßen und ebenfalls gut erhaltener Kolonialarchitektur, kehren wir ein und trinken ein Glas fruchtig trockenen Weißwein. In dieser Gegend werden die höchsten Weine der Welt gekeltert!
Zu Burkhards Freude, entdecken wir in einer kleinen Weinhandlung Weinflaschen der „Bodega Stutz“! Ohne mit der Wimper zu zucken, kauft er begeistert den ganzen Bestand auf. Für Wein ist im Auto immer Platz – und somit die Diskussion beendet.
Den nächsten Tag verbringen wir in den „Termas de Fiambalá“.
Neben einem spektakulären Blick auf die Sierra de Fiambalá, hat man hier die Möglichkeit, in einem Dutzend ziemlich warmer Bassins zu baden.
Die Becken werden von einer heißen Quelle gespeist und sind terrassenförmig angelegt. D.h. das oberste Becken, in das die Quelle direkt mündet, hat 51 Grad… – und wer jemals aus Versehen in eine zu heiß eingelassene Badewanne gestiegen ist, kennt das Gefühl! Die gute Nachricht: die Temperatur der nachfolgenden Becken fällt jeweils um ca. 2 Grad. Und man fängt sowieso unten an. Und sofern man keinen Kreislaufkollaps bekommt, soll das Baden hier auch äußerst gesund sein.
(Woher wir das wissen? Auf dem Weg nach Fiambalá, haben wir in einer alten Bodega zwei ebensolche Herren kennengelernt – beide weit über 80, topfit und das beste Beispiel für die Heilkraft der Quelle. Sie saßen beim Mittagessen zufällig am Nachbartisch, wir kamen ins Gespräch und sie erzählten, dass seit dem regelmäßigen Besuch der Therme alle ihre Wehwehchen verschwunden seien! Selbst die chinesischen Ärzte in Buenos Aires würden diese Thermen empfehlen!)
Der südliche Teil der Provinz „Catamarca“ in der sich die Thermen befinden, zählt zu den heißesten und trockensten Gegenden des ganzen Landes. Das Hinterland reicht bis an die Anden und wird über den Pass San Francisco (4750m) mit Chile verbunden. Da sich hier auf 100 Kilometern vierzehn der zwanzig höchsten Berge Lateinamerikas befinden, wird die dazugehörige Ruta 60 auch „Ruta de los Seismiles“ genannt.
Leider liegt die Ruta 60 nicht wirklich auf unserem Weg nach Bariloche – daher können wir nur einen kleinen Teil davon fahren, quasi zum Reinschnuppern…
Die Gegend hier ist wunderschön, aber wir müssen los, Stefan wartet auf uns!
Bevor wir zum „ Parque Provincial Ischigualasto“ weiterfahren, passieren wir in der Provinz „San Juan“ den wahrscheinlich seltsamsten Wallfahrtsort in Südamerika.
Er ist der „Difunta Correa“, der Schutzheiligen aller Reisenden gewidmet. Viele Argentinier glauben an ihren Schutz und auch wenn sie von der katholischen Kirche nicht anerkannt ist, findet man überall an den Fernstraßen kleine Altäre, vor denen die Menschen gefüllte Wasserflaschen abstellen. (Der Legende nach verdurstete die Difunta Correa zur Zeit des Bürgerkriegs 1841 in der Wüste, als sie ihrem verschleppten Mann folgte. Als sie Tage später gefunden wurde, war ihr Säugling wie durch ein Wunder noch am Leben und trank an ihrer milchspendenden Brust.)
Am Wallfahrtsort werden von den Verehrern der Difunta Correa täglich – neben o.g. Wasserflaschen – geplatzte Autoreifen, Getriebeteile, Bilder von zu Schrott gefahrenen Autos, Nummernschilder u.v.m. abgeladen. Frauen deponieren hier ihre Brautkleider, denn schließlich ist die Ehe ja auch eine lange Reise, und man findet aus selbigem Grund selbstgebastelte kleine Häuser in allen Größen hier.
„Ischigualasto“ bedeutet in der Ketschua-Sprache „Land ohne Leben“ – das trifft den Charakter des Parks ziemlich gut. Ein extremes Klima hat diese „Marslandschaft“ geprägt: im Sommer steigen die Temperaturen auf ca. 60 Grad, im Winter fallen sie bis zu – 10 Grad. Kurz gesagt, es gibt hier hauptsächlich Sand, Steine und regelmäßig starke Winde.
Vor etwa 251 Millionen Jahren, im Trias, war das allerdings ganz anders, da streiften viele Dinosaurier durch die üppige tropische Vegetation, denn die Anden, die heute den Regen abhalten, gab es damals noch nicht.
Und da man die Schichten des Trias aufgrund der massiven Erosion nicht einen Kilometer unter der Erde suchen muss, sondern sie quasi offen zu Tage liegen, ist der Park ein Mekka für Paläontologen und Fossiliensucher. Bis heute werden Dino-Jäger jedes Jahr fündig!
Apropos fündig werden: ich habe zwar keinen Dino gefunden, dafür aber zwei große Taranteln auf der Damentoilette. Immerhin!
Weiter geht´s ins nächste felsige, weitgehend vegetationslose Naturreservat: in den „Parque National El Leoncito“. Bevor wir zum Park abbiegen, passieren wir den ausgetrocknete See „Barreal Blanco“.
Ist „Ischugualasto“ das Mekka für Paläontologen, so ist „El Leoncito“ das Mekka für Astronomen! Der Park liegt weit entfernt von großen Städten und pro Jahr gibt es hier ca. 300 wolkenlose sternklare Nächte.
Das heißt für uns, tagsüber Wandern und nachts Sternegucken.
In der Sternwarte des Parks treffen wir auf Walter, der normalerweise in Buenos Aires im Planetarium arbeitet und begeisterter Hobby-Astronom ist.
Dass wir Deutsche sind, findet er großartig! Schon seit Langem interessiert er sich für deutsche Kultur, Sprache, Musik und Geschichte. In ziemlich guten Deutsch erklärt er uns, dass er sich die deutsche Sprache selbst beigebracht hat und seine absolute Leidenschaft Sternkugelhaufen sind. Und die Kombination er, deutsche Touristen, Sternwarte und Sternkugelhaufen sei quasi wie ein Sechser im Lotto!
Walter ist phänomenal. Er weiß alles über den südlichen Sternenhimmel! Dort wo wir nur eine Unmenge ungeordneter Sterne und Planeten sehen, erklärt er uns mit Hilfe seines Laserpointers, der gefühlt einige Lichtjahre weit reicht, in Nullkommanix die verschiedensten Himmelsformationen und wir entdecken trotz einiger Wolken sogar ein paar Sternkugelhaufen, die durch das große Spiegelteleskop gut zu erkennen sind. Zwischendurch trinken wir heißen Matetee und hüpfen ein bisschen auf der Stelle, denn im Park wird es nachts ganz schön kalt!
Von Leoncito aus fahren wir über die „Caracoles de Villavicencio“ (Schnecken von Villavicencio), die wegen ihrer angeblich 365 Serpentinen auch „Ruta del Ano“ (Jahresroute) genannt wird, nach Mendoza.
„Estar entre San Juan y Mendoza“ bedeutet in Argentinien soviel wie „einen Schwips haben“. Damit ist schon alles gesagt.
Wir befinden uns im berühmtesten Weingebiet Argentiniens: vor uns Weinberge und Bodegas, am Horizont die majestätische Andenkette…
Der erste Wein wurde hier 1566 von Jesuiten gepflanzt. Heiße, sonnige Tage, klares Schmelzwasser, das über Bewässerungskanäle aus den Anden ins Tal fließt und sandige Böden, die von der Reblaus gemieden werden – besser können die Bedingungen nicht sein!
Mendoza, 1561 gegründet, wurde 1861 von einem starken Erdbeben vollständig zerstört, so dass vom kolonialen Erbe kaum etwas übrig geblieben ist. Dafür präsentiert sich die Stadt mit breiten Avenidas, belebten Plazas und grünen Parks. Außerdem ist die Stadt für ihre schönen Frauen und für ihr hervorragendes Essen bekannt. Beides können wir guten Gewissens bestätigen!
…das beste Restaurant bis jetzt… das Asafazar in Mendoza!
Weiter geht es über die Ruta 40, immer den Anden entlang, durch Steppenlandschaften…
An was erinnert euch das…?
…bis in die Provinz Neuquén, die zwar schon zu Patagonien gehört, aber eine Welt für sich ist: mit ihren grünen Wäldern, saphirblauen Seen und schneeblitzenden Bergen und Vulkanen sieht sie aus wie die Schweiz in XXL.
Bariloche, das Zentrum dieser „patagonischen Schweiz“ liegt wunderschön am Südostufer des Lago Nahuel Huapi, im gleichnamigen Nationalpark, umgeben von einem Kranz schneebedeckter Zweitausender, ist aber selbst, ehrlich gesagt, ziemlich hässlich… es gibt hier leider zu viele Bausünden! Aber, da unser Hotel am Rand von Bariloche und direkt am Strand liegt, können wir einen ungestörten Blick auf See und Berge genießen.
Regelmäßig kommen Greifvögel der gegenüberliegenden Insel vorbei, um sich füttern zu lassen. Damit findet auch der ekelhafte Formschinken des Frühstücksbüffets endlich sinnvolle Verwendung!
In Bariloche degradieren wir unseren Cruiser zum normalen Auto, stellen ihn auf dem Parkplatz ab, ziehen mit Sack und Pack zu Stefan ins Apartment und eröffnen für eine Woche eine Musiker-WG. 2 Gitarren & 1 Bass.
Beim abendlichen Kneipengang wird uns aber schnell klar, dass wir einen Auftritt ohne Anlage vergessen können- die Geräuschkulisse ist einfach zu enorm.
Daher verlegen wir unser geplantes Mini-Konzert an den Strand und spielen dort vor „Laufpublikum“ und Stefans argentinischen Kollegen. Auch schön!
In den nächsten Tagen faulenzen wir rum, schreiben Blogbeiträge, machen Ausflüge im Nationalpark Nahuel Haupi und erfreuen uns an der frühlingshaften Umgebung!
Auch Stefan darf mal ans Steuer und siehe da, kurz darauf fängt der Cruiser an rumzuzicken… plötzlich läuft er unruhig, qualmt und stinkt…Sehr merkwürdig. Anscheinend ist er doch eine sensible Seele!
Nach einer sehr schönen Woche mit guten Gesprächen, langen Abenden, viel Wein und Musik verabschieden wir uns von Stefan…
…und fahren mit unserem immer noch beleidigten Toyota weiter Richtung Süden…
Wir fahren weiter am Rio Paraguay, Richtung Norden, bis nach „Tres Cerros“.
Von hier soll die Fähre nach Puerto Casado übersetzen. Aber wo ist der Hafen? Wir fahren einmal durchs Dorf und entdecken eine Stelle am Fluss, wo eine Fähre anlegen könnte. Aber wo ist die Fähre? Fahrplan gibt es auch keinen. Etwas ratlos stehen wir herum und beschließen dann, in der Nachbarschaft zu fragen. Wir treffen auf einen netten Paraguayo, der gerade seine Siesta im Vorgarten macht. No problema! Er führt ein kurzes Telefonat und erklärt uns dann, dass die Fähre in einer halben Stunde hier am Fluss anlegt. Und pünktlich 30 Minuten später sitzen wir auf der Fähre und schippern flussaufwärts nach Puerto Casado.
Die Geisterstadt Puerto Casado: ein ehemals geschäftiger Ort mit Tannin-Fabrik (Tannin brauchte man damals um Leder zu gerben) und Eisenbahnanschluss. Schon seit langer Zeit ist die Fabrik geschlossen und auf dem Gelände des ebenfalls stillgelegten Bahnhofs stehen uralte Loks (absolute Museumsstücke!) herum, die nach und nach in Einzelteile zerlegt und nach finanziellem Bedarf kiloweise verkauft werden.
Früher gehörte das Gebiet auf dem sich die Stadt befindet den Besitzern der Tannin-Fabrik, der Familie Casado. Diese verkaufte es vor 16 Jahren unter Protest der Bevölkerung an die südkoreanische Moon-Sekte.
Von Puerto Casado aus starteten 1927 auch die ersten Mennoniten ins Chaco, um sich dort anzusiedeln. (Mennoniten sind Mitglieder einer protestantischen Sekte, die vor ca. 400 Jahren in der Schweiz und in Deutschland gegründet wurde. Auf der Suche nach einem Land, in dem sie ihre Religion ohne Einschränkungen ausüben können, kamen sie vor ca. 80 Jahren nach Paraguay und kauften ebenfalls Land von der Familie Casado. Sie führen ein arbeitsreiches und strenggläubiges Leben, wohnen und arbeiten in landwirtschaftlichen Kooperativen und sprechen meist plattdeutsch oder hochdeutsch.)
Ihr seht, Paraguay ist ein Eldorado für Sekten. Man kann hier relativ problemlos Land kaufen und sesshaft werden, wird normalerweise in Ruhe gelassen und braucht nur etwas Fingerspitzengefühl bzgl. Korruption…
Auf der Fahrt nach Loma Plata geht es zuerst durch den feuchten Teil des Chaco:
Galerie-Wälder wechseln sich mit Graslandschaften, sumpfigen Gebieten und Palmenhainen ab. Immer mal wieder passieren wir ein Gatter, sehen große Greifvögel, Geier, Störche, Ibisse …- und überall sind Moskitos, die uns unverschämter Weise trotz Mückenschutz und spezieller Antimücken-Kleidung ordentlich stechen.
Der Weg ist sehr abwechslungsreich, aber auch beschwerlich. Viele tiefe Schlaglöcher, schlammig, teilweise voll Wasser und zu allem Überfluss kommen uns einige große Viehtransporter auf dem schmalen Weg entgegen.
Wir merken schnell, dass wir die 230 km bis Loma Plata an diesem Tag nicht mehr schaffen werden. Kurz vor Sonnenuntergang kommen wir an einer Estancia vorbei und bitten um Asyl für die Nacht. Wir haben Glück und dürfen bleiben. Mehr noch, Raúl, der Sohn des Verwalters, freut sich sehr über Besuch aus Europa und bittet uns, noch eine Nacht länger zu bleiben, um das Leben auf der Estancia kennenzulernen. Seine Freundin fliege als Stewardess um die Welt, habe schon viele Länder gesehen und auch er sei sehr am Reisen interessiert. Endlich mal etwas Abwechslung!
Wir werden von ihm und seinem Vater zum Asado eingeladen und erfahren nebenher, dass die Estancia „Campo Verde“ heißt, 600 000 Hektar (!) groß ist und den Moonies gehört. Allerdings weiß keiner was Genaueres über die Sekte. Alles Geschäftliche wird aus den USA koordiniert und hier vor Ort von (katholischen) Paraguayos bzw. Brasilianern geleitet.
Am nächsten Morgen starten wir zu Viert zur morgendlichen Rundfahrt auf dem Estancia-Gelände.
Raúls Vater hat einen rasanten Fahrstil, fährt die schwierigen Wege mindestens doppelt so schnell wie wir und regelt währenddessen noch alles Mögliche per Walkie-Talkie. Er ist so eine Art Ben Cartwright. Wir steuern nach und nach verschiedene Arbeitsgruppen auf dem Anwesen an: hier wird gerodet, da werden Kühe zusammengetrieben, dort Wege ausgebessert u.v.m. Immer wieder steigt er aus, fragt wie´s läuft, macht ein paar Scherze, gibt weitere Anweisungen, hakt nach, koordiniert… So viel Land zu verwalten und alle Arbeiten im Blick zu behalten ist richtig viel Arbeit!
Im Anschluss dürfen wir Raúl beim Sortieren der Kühe assistieren. Zusammen mit den Gauchos, teilt er die Tiere in verschiedene Kategorien ein und überprüft, ob die Stückzahl der Herde noch stimmt.
Raúl ist studierter Agrarwirt und hauptsächlich für den Verkauf der Kühe zuständig. Normalerweise arbeitet er von seinem Büro in Asuncion aus, auf der Estancia ist er nur gelegentlich. Dass das Verwalterhäuschen seines Vaters teilweise kein Dach mehr hat (Tornadoschaden) und seit über einem Jahr immer noch nicht repariert ist, ist ihm etwas unangenehm. Aber das Leben auf der Estancia sei nun mal etwas speziell…
Pünktlich um 12:00 serviert Raúls Vater selbst gekochtes, leckeres Ragout aus seiner Open-Air-Küche. Wie praktisch, wenn das Dach fehlt, spart sich sich auch die Dunstabzugshaube!
VIDEO Kühe sortieren
Obwohl wirklich noch genug Arbeit ansteht, nehmen sich Raúl und sein Vater am späten Nachmittag netterweise nochmal Zeit für uns. Wir machen eine weitere Rundfahrt auf dem Gelände, diesmal eine Art Safari. Mit dabei: eine Kanne Tereré, eine Angel und eine Gewehr…
Unterwegs sehen wir: ein Gürteltier, ein Reh (läuft glücklicherweise schnell genug weg!), Kaimane, Füchse, einen großen Ameisenbär und im Dunkeln der Nacht leuchten die Augen eines Pumas auf – zwischendurch flämmt Raúls Vater, der quasi immer im Dienst ist, noch ein paar Wiesen ab und gibt immer mal wieder mit seiner knarzigen Stimme Anweisungen über sein Walkie-Talkie.
Zum Abschluss des Abends gibt´s – wie soll es anders sein – ein Asado. Diesmal bei Raúls Bruder Rodriguez, der ebenfalls auf der Estancia, aber etliche Kilometer entfernt auf dem Gelände arbeitet. Insgesamt sind wir an diesem Tag über 300 km kreuz und quer gefahren! 600 000 Hektar ist einfach enorm viel. Um einen beliebten Vergleich zu bemühen: Campo Verde ist fast 2,5 mal so groß wie das Saarland.
Nach einem gemeinsamen Frühstück mit Raúl, der sich in den letzten Tagen wirklich rührend um uns gekümmert hat, verabschieden wir uns und fahren weiter Richtung Westen.
Wir kommen an mehreren Salzlagunen vorbei. An der größten, der Laguna Salada, wollen wir die Nacht verbringen.
Das Gatter ist leider geschlossen, aber es gibt eine Telefonnummer über die man den Besitzer erreichen kann. Er teilt uns telefonisch den Preis für den Einlass mit und sagt uns, wo der Schlüssel für´s Tor hängt. Ok. 15 Minuten später stehen wir vor der Lagune. Es gibt hier einen Mirador, eine Art Hütte auf Stelzen, ca. 6m hoch mit Terrasse. Hier befestigen wir unsere Hängematten, verstauen einen Teil unserer Sachen und machen eine kurze Siesta. Außer uns ist hier weit und breit niemand – selbst auf dem dreistündigen Weg zur Lagune ist uns kein Auto begegnet.
Beim anschließenden Spaziergang am Lagunenufer, können wir Hunderte von Flamingos beobachten. Sie gleiten grüppchenweise durch die Luft, landen mit weit ausgebreiteten Flügeln und stelzen durchs seichte Wasser…
Da es hier schon länger nicht mehr geregnet hat, sind auf dem getrockneten lehmigen Boden auch viele interessante Tierspuren zu sehen.
Es fängt an zu dämmern und auf unserem Weg zurück zum Schlafplatz sehen wir, wie ein relativ großes Tier mit kurzem, hellbraunen Fell elegant durchs hohe Gras schleicht – es ist zwar nur ein Teil vom Rücken zu sehen und wir sind ein paar hundert Meter entfernt, aber uns wird schon ein bisschen mulmig…
Verhaltensregeln bei Pumas: mach Dich möglichst groß, brüll ganz laut zurück, dreh ihm nie den Rücken zu und v.a. lauf nicht schnell weg! OK. Wir versuchen, uns möglichst unauffällig zu entfernen. (P.S.: Am nächsten Morgen riecht unser Auto nach der Markierung einer sehr großen Katze!)
Der Mirador ist super:
hier oben gibt es relativ wenig Moskitos, definitiv keine Pumas, es weht ein laues Lüftchen und man kann aus der Höhe die direkte Umgebung viel entspannter beobachten. Wir trinken ein Bierchen, legen uns gemütlich in die Hängematten, schaukeln vor uns hin und schauen durch unsere Ferngläser in die Weite.
Nachts bestaunen wir den Sternenhimmel und können beobachten, wie ein unglaublich großer, oranger Mond über der Lagune aufsteigt. Danach werden wir von den Flamingos in den Schlaf geschnattert…
Wir fahren weiter Richtung Westen. Die Landschaft wird immer karger und staubiger. Willkommen im trockenen Chaco! Am Straßenrand sehen wir die ersten „Palo Barachos“. Diese Bäume wachsen in extrem trockenen, heißen Gebieten und sind in der Lage, Wasser in ihrem bauchigem Stamm zu speichern. Hier scheinen alle Pflanzen Stacheln zu haben.
Unterwegs tauchen die ersten Straßenschilder mit deutschen Namen auf und aus dem Radio ertönt plötzlich deutsche Schlagermusik und deutsche Werbung. In Kombination mit dieser Landschaft eine sehr eigenwillige Mischung.
Und dann sind wir endlich da: in Loma Plata dem Hauptort der mennonitischen Kolonie Menno.
Die meisten Straßen enden auf „- straße“, wir sehen viele hellhäutige, blonde Menschen, in allen Geschäften wird man auf deutsch bedient und trotzdem schaffen wir es irgendwie, im (vermutlich) einzig brasilianischen Hotel zu landen… Egal! Hauptsache kalte Dusche, Zimmer mit AC und Ventilator und – KEINE Moskitos!!!
Nachdem wir uns auf Normaltemperatur herunter gekühlt haben, schauen wir uns die Stadt genauer an und besuchen das kleine Mennoniten-Museum vor Ort, in dem man den Werdegang der Stadt bzw. der Mennoniten in Wort und Bild verfolgen kann:
1927 wurde Loma Plata als erste mennonitische Siedlung im Chaco gegründet. D.h. die Siedler ließen sich zwischen Trockenwäldern und Dornbuschsavannen unter härtesten Bedingungen im „Nichts“ nieder. Und heute? Heute ist Loma Plata eine florierende kleine Stadt mit Supermärkten, Hotels, Restaurants, einer großen Fabrik für Milchprodukte, einem Krankenhaus u.v.m. Schon beeindruckend!
Am Abend treffen wir zufällig Rodriguez und einen weiteren Mitarbeiter von Campo Verde. Sie erzählen, dass sie Einkäufe in Loma Plata gemacht haben und aufgrund der schlechten Wetterlage eine Nacht hier in der Stadt verbringen müssen. Bei einsetzendem Regen packt selbst ihr Toyota Hilux nicht den Weg bis zur Estancia! Es wird ein lustiger Abend mit einigen Cervezas: wir reden über das Estancia-Leben, über Familie, übers Reisen, über die Zukunftsaussichten in Paraguay und vieles mehr.
Der nächste Tag bringt uns eine ebenfalls sehr nette, aber wieder ganz andere Begegnung.
Beim Mittagessen treffen wir auf Rosi und Klaus aus der Pfalz, beide Mitte 70. Sie sind auf ihrer Reise durch Südamerika vor ca. 10 Jahren im Chaco hängengeblieben. Nachdem sie eine Zeit lang in einem mennonitischen Dorf gelebt haben, wohnen sie jetzt “mitten im Busch“ (Zitat Rosi).
Rosi hat viel Interessantes über das Leben in Paraguay zu erzählen, z.B.: dass Korruption hier ganz normal ist; dass sie aufgehört hat, barfuß zu laufen (zu viele Skorpione, Schlangen u.ä.); dass sie einerseits den Zusammenhalt der Mennoniten sehr schätzt, andererseits aber auch schon die Schattenseiten dieser verschworenen Gemeinschaft erleben musste; dass man im Chaco eine sehr gute ärztliche Versorgung hat und, dass es hier mittlerweile richtig leckere Leberwurscht gibt.
Am späten Nachmittag lernen wir ihre mennonitischen Freunde, Elsie und Victor, kennen. Die beiden führen ein arbeitsreiches und hartes Farmerleben, fest verwurzelt in ihrer Glaubensgemeinschaft. Sie konnten im Laufe der letzten Jahrzehnte selbst miterleben, wie sehr der Anschluss an die Transchaco das Leben hier in der Region verändert hat. Im Gegensatz zu den Mennoniten im Osten Paraguays, die dem Fortschritt abschwören, sich traditionell kleiden und ein bequemes Leben mit Technik ablehnen, sind die Mennoniten des Chaco sehr fortschrittlich. Sie tragen moderne Kleidung, fahren Autos, benutzen Handys und haben auch keine Scheu mit Nicht-Mennoniten in Kontakt zu treten. So auch Elsie und Victor. Sie fragen in etwas antiquiertem Deutsch nach unserer Reise und zeigen sich an unseren Erlebnissen interessiert.
Am nächsten Tag geht´s (in Schlangenlinien) auf der Transchaco nach Mariscal Estigarribia. Die Straße ist zwar asphaltiert, aber voll riesiger Schlaglöcher…
In Mariscal (ca.1000 Einwohner) fühlt man sich dem Ende der Welt schon ziemlich nah.
Lange, ausgestorbene Straßenzüge, viel Staub, ab und zu rauscht ein LKW vorbei, dann ist wieder Stille…
Aber jedes Jahr im September ist hier die Hölle los. Dann startet nämlich die Rallye Transchaco und Mariscal ist Dreh- und Angelpunkt dieser Veranstaltung.
Außerdem gibt es hier einen großen Flughafen mit riesigem Radarsystem und Unterkünften für 16000 (!) Personen.
Er wurde vor Jahrzehnten aus unbekannten Gründen von den USA gebaut- angeblich als Entwicklungshilfe. Als 2005 auf dem Gelände über 1000 US-Truppen stationiert werden sollten, gelang es der Bevölkerung vor Ort, diesen Plan zu boykottieren. D.h. insgesamt wurde der Flughafen genau einmal benutzt – nämlich 1988 von Papst Johannes Paul II, der der indigenen Bevölkerung des Chaco damit einen Besuch abstattete.
Für uns ist die wichtigste Einrichtung in diesem Ort das Zollamt.
Wir haben vor, über den trockenen Chaco nach Argentinien zu fahren und müssen deshalb bereits hier, 250 km vor dem Grenzübergang, unseren Papierkram für den Zoll erledigen.
Nachdem das gemacht ist, fahren wir los in Richtung Pozo Hondo. In den nächsten fünf Stunden begegnen wir genau einem weiteren Fahrzeug – und zwar am Ortsausgang von Mariscal. Danach begleiten uns Riesenheuschrecken, die immer wieder mit ihren blauen Flügeln an uns vorbeischwirren und die Staubfahne, die wir hinter uns her ziehen.
Der Himmel ist ziemlich bewölkt und unsere größte Sorge ist, dass es anfängt zu regnen und sich die Piste in Schmierseife verwandelt. Aber wir haben Glück, außer ein paar zaghaften Tropfen fällt nichts vom Himmel…
Am frühen Nachmittag kommen wir in Pozo Hondo an.
Das ist vielleicht nicht das Ende der Welt (auch wenn es sich schon wieder stark danach anfühlt) aber auf jeden Fall das Ende unserer Paraguay-Reise.
Wir passieren den paraguayischen Grenzposten (der nicht besetzt ist… Siesta…), überqueren die Brücke am Pilcomayo und checken im argentinischen Zollamt ein.
Auf argentinischer Seite erwarten uns zwei gut gelaunte junge Zöllner. Sie sind erstaunt, hier Touristen aus Europa zu sehen – wir sind tatsächlich die ersten, die hier über die Grenze wollen. Daher dauert es eine Weile und mehrere Telefonate, bis das passende Formular für unser Fahrzeug gefunden ist. Wir bekommen ganz offiziell die Nummer 001 und je einen Stempel in unsere Pässe. Argentinien, wir kommen!
P.S.
Paraguay ist ein spannendes Land.
Mit viel Licht, aber auch viel Schatten. Nirgendwo haben wir bisher so viel Reichtum und Armut bzw. modernes und traditionelles Leben parallel nebeneinander gesehen.
Korruption ist ein großes Thema, obwohl wir persönlich keine negativen Erfahrungen mit Behörden oder Polizisten machen mussten.
Das Land bietet viel Raum für die unterschiedlichsten Lebensentwürfe – auch hier, im Guten wie im Schlechten. Durch die Offenheit und Herzlichkeit der Menschen in Paraguay, bekamen wir oft die Gelegenheit von den verschiedensten Lebensentwürfen zu hören, bzw. sie uns persönlich anzuschauen und zu erleben. Danke!
Über Santa Rosa fahren wir zur Laguna Blanca.
Das Naturreservat der Lagune, ein beliebter Ort für Ornithologen, ist leider wegen Familienstreitigkeiten (vorübergehend) geschlossen. Aber da das Thermometer 40 Grad anzeigt und es am anderen Ufer der Lagune einen netten Campingplatz mit weißem Sandstrand, Stroh-Sonnenschirmen und Bademöglichkeit gibt, schlagen wir hier kurzentschlossen unser Lager auf. Badesachen an und ab ins kühle Wasser!
Es ist wieder Sonntag und somit viele Paraguayer mit Kind und Kegel und/oder Freunden unterwegs, um ihr Wochenende im Grünen zu verbringen und der Hitze in den oft staubigen Dörfern bzw. Städten zu entgehen – dieses Mal gibt´s sogar Live-Musik.
Vor Ort lernen wir vier junge Studierende aus Santa Rosa kennen, mit denen wir schnell ins Gespräch kommen und die uns zum Tereré einladen. Wir tauschen uns über das Leben und Reisen in Paraguay aus, bekommen neue Reisetipps und erfahren u.a., dass es einen berühmten Marien-Wallfahrtsort in Süd-Paraguay gibt, zu dem jedes Jahr am 8. Dezember über eine Mio. Menschen pilgern, u.a. auch Christian und Kiki.
Das Ganze funktioniert folgendermaßen: ich treffe mit der Maria von Caacupé zu Jahresbeginn eine Vereinbarung, bei der ich verspreche, am 8. Dezember nach Caacupé zu pilgern, wenn sich im Laufe des Jahres Wunsch XY zu meinen Gunsten erfüllt. Da die Pilger über große Strecken zu Fuß, mit dem Fahrrad, auf Knien, mit Bussen und Autos nach Caacupé kommen, muss die Polizei teilweise die Straßen für den normalen Straßenverkehr absperren. Außerdem gibt es unterwegs Verpflegungsstationen für die Pilger. Wie bei der Tour de France!
Am Nachmittag treffen wir auf Gustavo, Zulma, Rafa, Diana und ihre Kinder. Nach einem kurzen Smalltalk laden sie uns spontan zum gemeinsamen Asado ein.
Wir tauschen uns u.a. wieder über Reiseziele in Paraguay aus und sie empfehlen uns, den Nationalpark Cerro Corá, einen der berühmtesten Orte Paraguays zu besichtigen. Hier starb 1870 General Lopez (Zitat: „Ein Paraguayer ergibt sich nicht“), der größte Nationalheld Paraguays. Neben der historischen Bedeutung für Paraguay, sei Cerro Corá auch landschaftlich sehr schön – und wenn wir wollten, könnten wir ja im Anschluss auch noch nach Pedro Juan de Caballero kommen.
Am Abend erzählt uns Raffa noch, dass er ein kleines Restaurant in Pedro Juan betreibt und berühmt für seine leckeren Hamburger ist. Außerdem habe er mehrere Jahre in Spanien als Koch gearbeitet und könne von Paella bis Falafel alles kochen. Wir sind begeistert! Das hört sich gut an! Auf die Frage, wie seine Heimatstadt Pedro Juan so ist, antwortet er: alles tranquilo, kein Problem, gemütliche Stadt.
Am nächsten Morgen fängt es an zu gewittern. Wir packen zügig unsere Sachen ins Auto, um möglichst schnell loszufahren, da die Strecke bis Santa Rosa mehr als schlecht und Fahren im Regen so eine Sache für sich ist…
Bevor wir aber loskommen, verplaudern wir uns mit Pedro, dem Besitzer der Lagune. Er hat mit seinen 50 Jahren schon ein ziemlich bewegtes Leben hinter sich: Latein und Theologie studiert, war dann Pfarrer, hat sich aber irgendwann verliebt, geheiratet, zwei Söhne bekommen, einen großen Supermarkts in Santa Rosa geleitet und schließlich das Grundstück an der Lagune gekauft und zum Campingplatz ausgebaut. Und ruckzuck ist sowohl die Zeit als auch die Regenpause vorbei und wir fahren doch im heftigsten Regen los…. na super…!
Auf dem Weg zum Nationalpark Cerro Corá ändert sich die Landschaft: es wird hügeliger und grüner, wir sehen die ersten Tukane vorbeifliegen.
Am Parkeingang steht ein kleines Museum, das sich mit den Hintergründen und dem Ablauf des Krieges von 1870 (Paraguay gegen Brasilien, Argentinien und Uruguay) beschäftigt. Dazu nur so viel: für die Paraguayer war Mariscal Lopez der größte Volksheld, für die gegnerischen Länder der schlimmste Diktator.
Im Park kann man auf Schritt und Tritt an Originalorten die letzte Schlacht von Lopez auf Tafeln (teilweise mit Zitaten oder Auszügen von Augenzeugenberichten) verfolgen. Der Geschichte zufolge starb er mit einer Lanze in den Rippen, einem Schwert in seinem Kopf und einer Kugel in seinem Herzen mit den Worten: „ Ich sterbe für mein Land!“
Der Park ist ein beliebtes Ausflugsziel für Schulklassen, die hier busseweise ankommen und natürlich auch Ort der offiziellen Feierlichkeiten am 1.März, dem Nationalfeiertag Paraguays.
Nach Besichtigung der historischen Stätten, schlagen wir in der Mitte des Parks unser Nachtlager auf, machen noch einen kleinen abendlichen Rundgang, um Schmetterlinge und sonstige Tiere zu fotografieren und gehen dann ins Bett.
Unsere Reise führt uns am nächsten Morgen weiter nach Pedro Juan de Caballero. Wir wollen kurzentschlossen Rafa und Diana besuchen, dort einen von Rafas berühmten Hamburgern essen und wieder weiterfahren. Unterwegs lässt mich ein Blick in den Reiseführer etwas stutzen: von wegen tranquilo! Pedro Juan ist demnach eine berüchtigte Waffen- und Drogenhochburg, in der sich Mitglieder von Motorradgangs am helllichten Tag gegenseitig erschießen. 2014 gab es hier in den ersten 5 Monaten 38 Morde!
Rafa und Diana sind schnell gefunden – ihre Hamburgueseria ist leider erst am Abend geöffnet. Sie sind überrascht, uns so schnell wieder zu sehen, freuen sich aber sehr und laden uns ein, eine Nacht zu bleiben. Wir müssten uns keine Sorgen machen: diese Gegend der Stadt sei ruhig und die Drogendealer würden sich außerdem immer nur gegenseitig erschießen.
Auf der gemeinsamen Fahrt zur nächsten Tankstelle, greift Rafa wieder das Thema Kriminalität auf: so schlimm sei es hier garnicht, es seien nur 20%. Burkhard versucht rauszubekommen, was diese ominösen 20% bedeuten: 20% Morde im Monat? 20% der Bevölkerung sind kriminell? Bleiben 20% der Fälle ungelöst? Rafa zuckt mit den Achseln. Irgendwie weiß er auch nicht, auf was sich diese offiziellen 20% genau beziehen. Es würde immer heißen, es sind nur 20% und das sei wenig.
Am Abend bereitet Rafa eine vorzügliche Paella zu, die wir gemeinsam mit Familie, Freunden und Nachbarn essen und Burkhard hilft begeistert in der Küche mit. Endlich wieder kochen!
Als Vorspeise gibt es eine „sopa paraguaya“, eine Art Polenta. Ursprünglich war diese Spezialität wirklich mal eine „Sopa“, also eine Mais-Suppe, bis zu dem Zeitpunkt, als der Leibkoch von General Lopez sie zu lange auf dem Herd gelassen hat, somit aus der „Sopa“ eine Maisschnitte wurde und Mariscal Lopez davon total begeistert war.
Es wird ein vergnügter Abend mit gegenseitigen Geschenken, kurzweiligen Gesprächen und viel Bier. Immer wieder kommt der schlechte Ruf der Stadt zur Rede. Ein Freund von Diana, Flavio berichtet, dass, sobald man erzählt, dass man aus Pedro Juan komme schief angeschaut werde und die Leute von einem abrücken – sogar in Asuncion! Dabei sei hier viel sicherer zu wohnen als in der Hauptstadt, denn normale Verbrechen wie Hauseinbrüche und Diebstähle gäbe es hier quasi nicht.
Anschließend übernachten wir in unserem Auto vor dem Haus der Nachbarin und Freundin Zulma. Nachts höre ich, während Burkhard friedlich neben mir schläft, lautes Motorradgeheul und mehrere Schüsse – glücklicherweise ein paar Quadras entfernt. Ich rufe mir die Bemerkung, dass die Dealer sich immer nur gegenseitig erschießen in Erinnerung und hoffe, dass die Gangs das auch wissen…
Am nächsten Morgen frühstücken wir gemeinsam bei Zulma. Als ich ihr von den Schüssen berichte, antwortet sie, dass das leider regelmäßig vorkomme und zeigt uns auf ihrem Handy Fotos von Waffen- und Drogenfunden der letzten Nacht. Sie selbst fühle sich in der Stadt nicht bedroht – Angst habe sie nur um ihre zwei jüngsten Kinder, da es in Pedro Juan sehr leicht wäre, an Drogen und somit auf die schiefe Bahn zu geraten. Deshalb versucht sie ihnen regelmäßig Freizeitbeschäftigungen in drogenfreien und stabilen Gruppen (Tanzgarde, Musikverein etc.) zu ermöglichen. Und eine gute Nachbarschaft, in der man sich gegenseitig hilft und aufeinander achtet sei sowieso unverzichtbar. Das können wir bestätigen!
Als Abschiedsgeschenk organisieren uns Rafa und Diana einen riesigen (extra angefertigten) Paraguay-Aufkleber, den wir feierlich an unserem Auto anbringen.
Wir fahren weiter Richtung Westen nach Belén ins „Granja El Roble“. Hier treffen wir auf die Familie Gärtner: Peter, Andresa und ihre Kinder Nestor, Hannibal und Ameli.
Peter ist vor über 25 Jahren von Deutschland nach Paraguay ausgewandert, hat sich ein Grundstück gekauft, vollständig aufgeforstet und es zu einem einzigartigen Ort gemacht. (Zitat Peter: „Auswandern ist ganz einfach. Man muss nur die ersten 20 Jahre irgendwie überstehen, dann läuft´s schon…!“)
Hier ist alles sehr naturnah. D.h. an manchen Tagen sieht man selbst auf den Klos interessantere Tiere, als in manch einem paraguayischen Nationalpark.
Außerdem gibt einen genial kühlen Trinkwasserpool (den man sich mit ein paar Fröschen teilt), viele bunte Vögel, Echsen in verschiedenen Größen, die über die Terrasse laufen, Fische im Teich, Schweine auf der Weide und da die Familie auch eine Art Auffangstation für misshandelte Tiere ist, lernen wir noch zwei kontaktfreudigen Brüllaffen, einen schmusebedürftigen Tapir und einen neurotischem Papagei kennen.
Am Abend fängt es an zu regnen und wir nutzen die Gelegenheit, mal wieder Musik zu machen. Ich erzähle Peter, dass in unserem Programm noch ein paraguayisches Lied fehlt und kurzerhand organisiert er ein Treffen mit Crescencio, einem Musiker aus Conception.
Am nächsten Tag erscheint er mit einer Liedermappe und seinem Meisterschüler Benjamin. Wir studieren das paraguayische Lied „Pajaro Chuy“ ein, spielen gemeinsam noch einige Lieder aus unserem „Südamerika-Programm“ und Crescencio lädt uns ein, im Rahmen des Konzertes der örtlichen Musikschule von Conception als Gäste aufzutreten.
Einen Tag später ist es soweit: gemeinsam mit Andresa, Nestor und Jonas, einem schweizer Koch (und ebenfalls Gast im El Roble) fahren wir nach Conception zum Auftritt.
Als wir am Marktplatz ankommen, spielt gerade die Geigengruppe der Musikschule auf. Vor der Bühne befinden sich mehrere Sitzreihen mit Familienangehörigen und Interessierten. Und ruckzuck bittet uns Crescencio offiziell nach vorn, interviewt uns zur Reise und zu unseren Instrumenten (besondere Aufmerksamkeit bekommen Burkhards Ukulele -Bass und der dazugehörige Mini-Verstärker) und wir spielen mit Unterstützung von Benjamin und Nestor zwei Songs. Irgendwie ist die Anlage übersteuert und es krächzt und knackst durch die Nacht – außerdem habe ich geschickterweise teilweise sowohl Text als auch Melodie von „Imik si mik“ vergessen… aber vor uns sitzt ein uns wohlgesinntes Publikum und alles ist gut. Danach füllt sich die Bühne mit einer ca. 30köpfigen Gitarrenklasse und es werden traditionelle paraguayische Lieder mit viel Patriotismus und Herzblut vorgetragen.
Im Anschluss an das Konzert werden wir von Benjamins Eltern nach Hause eingeladen. Wie wir verblüfft vor Ort feststellen können, gehört ihnen der Radio- und Fernsehsender Conception und eine Karaoke-Disco.
Nach der Besichtigung des Senders, versacken wir gemeinsam mit Andresa, Nestor, Jonas, Crescencio, seiner Freundin, Benjamin und seinen Eltern in der (an diesem Tag eigentlich geschlossenen) Disco: es gibt viel Cerveza und wir singen hemmungslos bis morgens um halb drei Karaoke…
Am nächsten Tag räumt Andresa, die übrigens ganz hervorragend kocht, für uns ihre Küche:
Jonas und Burkhard dürfen im El Roble an den Herd! Sie bereiten eine saarländische Spezialität (Flammkuchen – für „Geheirate“ o.ä. war´s bei 40 Grad im Schatten einfach zu heiß!) und schweizer Spezialitäten (Rösti & Brombeerwähe) zu.
Peter und Andresa sind mit ihrem Hof fast vollständig Selbstversorger. Sie bauen Gemüse und Obst an, halten neben Fischen und Hühnern auch Schweine (die Kühe sind mittlerweile „outgesourct“) und stellen u.a. Würste, Schinken, Käse, Marmeladen, Schnäpse u.v.m. her. Und an diesem Tag ist Schlachttag: die Sau ist dran.
Da es als Fleischfresser eigentlich schon sinnvoll und wichtig ist zu wissen, wie das Steak o.ä. auf den Teller kommt, schauen sich Burkhard und Jonas furchtlos und konsequent die Schlachtung an. Ich kann mich erfolgreich drücken…
Nach einer erlebnisreichen und sehr schönen Woche im „El Roble“ ziehen wir, mit einem nächtlichen Zwischenstopp am kristallklaren und fischreichen Rio Tagatijá, weiter Richtung Nordwesten ins Chaco.
Mit der Fähre geht es nach Paraguay.
Zuerst kaufen wir am Hafen von Puerto Iguazu/Argentinien die Tickets, dann wecken wir den Zollbeamten, der gerade hinter seinem Schalter, mit dem Kopf auf den Armen, seine Siesta macht. Verschlafen stempelt er uns die Pässe ab und schaut dann erst hoch, wer eigentlich vor ihm steht. Anschließend geht es zur Zollabteilung für Fahrzeuge. Insgesamt brauchen wir für diese Prozedur 5 Minuten, da sich alles im Umkreis von 10 qm befindet.
An diesem Freitag transportiert die Fähre fünf Autos und wir sind die einzigen Touristen. Normalerweise wird sie von vielen Argentiniern zum Einkaufen im billigeren Paraguay genutzt, aber es ist Monatsende und daher kaum was los. Auf der Fähre kommen wir mit einem jungen Paraguayer (auf deutsch-spanisch) ins Gespräch: er heißt Wolfgang, hat deutsche Vorfahren und erzählt uns, wo es in Paraguay Deutsche, deutsche Dörfer (z.B. Nueva Germania) und deutsche Oktoberfeste mit Knödel und Cerveza gibt.
…mit der Fähre nach Paraguay
Nach 12 Minuten legen wir in Paraguay an, bekommen unsere Einreisestempel in den Pass und weiter geht´s zur Fahrzeugkontrolle. Wir folgen zwei Zollbeamten zur Hauptzollstelle.
Das Gebäude ist mit ca. 12 Zollbeamten besetzt. Es ist wie gesagt Freitagnachmittag, auch hier ist nix los und wir bekommen die Aufmerksamkeit aller Anwesenden. Den Schreibkram dürfen zwei junge Zollbeamte (Azubis?) übernehmen und Christine hilft ein bisschen beim Ausfüllen- ein Teil der Kollegen gruppiert sich um den Schreibtisch herum. Zwischenzeitlich geht Burkhard mit den übrigen Zollbeamten ans Auto. Auf Nachfrage öffnet er das Auto, zeigt alle wichtigen Dinge (Klo, Küche, Bett), verneint wahrheitsgemäß die Frage, ob wir Waffen und/oder Drogen dabei haben und schon wird er mit neugierigen Fragen und Vorschlägen für die Weiterreise überhäuft.
Nach Erledigung des offiziellen Teils, stehen alle um unsere große Paraguay-Karte herum und diskutieren gemeinsam, wo man am besten hinfahren kann, welche Straßen gut sind, usw. Zum Schluss kommt der Chef kauend um die Ecke, gibt ebenfalls gute Tipps ab und lässt uns von seinem „Chipa“, einem leckeren Mais-Anis-Kringel, probieren. So nett wurden wir noch nie am Zoll empfangen! Nach mehr als einer Stunde fahren wir winkend und von guten Wünschen begleitet weiter.
Auf dem Weg zum Tati Yupi Nationalpark halten wir noch kurz an einem Bankautomaten und heben unsere ersten Millionen ab (1 Euro sind ca. 6200 Guaraní).
Bei Ankunft auf dem Campinggelände, versagt plötzlich mit einem lauten Knirschen die Lenkung… Mist! Und das ausgerechnet in Paraguay! Burkhard krabbelt mit dem Hammer unter das Auto und macht es wieder notdürftig fahrtüchtig (der Satz: „Dieses Auto kann jeder Dorfschmied mit dem Hammer reparieren“ stimmt also!). Wir suchen uns erst einmal einen schönen Stellplatz (kein Problem- wir sind hier die Einzigen) und klappen unser Hochdach auf. Morgen ist auch noch ein Tag und das mit dem Auto wird schon werden.
Als wir in unseren Schlafsäcken liegen, fällt uns erstmals auf, wie unterschiedlich hier die Vögel zwitschern. Einer klingt wie eine Adler-Schreibmaschine (Typ Record), ein anderer wie eine Trillerpfeife und der, den wir am lustigsten finden, so als ob jemand Flöte üben würde, ohne die Töne richtig zu treffen, kurz: Flöten-Hugo.
Am nächsten Morgen legt sich Burkhard unter den Cruiser, um den Schaden zu begutachten. Wie es aussieht fehlt nur eine Mutter am Querlenker, allerdings in Größe M16 – ausgerechnet die haben wir natürlich nicht dabei!
Auch Hector, einer der Parkranger, hat in seinem Schraubenfundus keine passende Mutter, gibt uns aber den Tipp nach Hernandarias in eine Ferreteria zu fahren und dort danach zu suchen. Gesagt, getan. Die Mutter wird kurzfristig durch eine Schlauchschelle ersetzt. In der sehr gut sortierten „Agromecánica Erich“, in der man Ersatzteile für Landwirtschaftsmaschinen kaufen kann, werden wir fachkundig bedient und sofort fündig.
Da wir schon mal unterwegs sind, besichtigen wir noch die Sehenswürdigkeiten in Itaipú, dem Nachbarort.
Und zwar: das zweitgrößte Wasserkraftwerk der Welt (Itaipú-Dam), das Guaraní-Museum und den Zoo mit Tieren aus der Region (damit wir eine Idee davon bekommen, was einem so alles über den Weg laufen kann). All das gehört zum „Itaipú- Programm für Nachhaltigkeit (Integration, Umwelt, soziale Verantwortung)“ und ist kostenlos – d.h. wir müssen weder hier, noch im Tati Yupi Park (der auch zum Programm gehört) Eintritt oder Übernachtungsgebühren bezahlen. Paraguay ist ein tolles Land!
Zum Schluss kaufen wir noch im (gut bewachten) Supermarkt ein und und freuen uns sowohl über das vielfältige Angebot, als auch die (für uns) überraschend gute Qualität der Produkte:
es gibt frische Früchte (Guaven, Mangos, Ananas, Maracuias…), frisches Gemüse (Tomaten, Salat, Gurken, Maniok, Süßkartoffeln…), ungesüßte Milchprodukte, passende kleine Gaskartuschen für unseren Kocher u.v.m.…
Dieser Wachmann ist keine Ausnahme – alle größeren Geschäfte werden hier von bewaffneten Sicherheitskräften bewacht. Soll einem ein Gefühl der Sicherheit geben…
Den Sonntag verbringen wir im Park.
Ab 8:00 rollen Busse und Autos an. Ihnen entsteigen Familien, Jugendgruppen und Pärchen mit Picknicktaschen, Sonnenschirmen und Getränken. Im Park werden verschiedene Aktivitäten (ebenfalls für alle kostenlos) angeboten: man kann zwischen Traktorfahrt mit Anhänger, Pferdekutsche und Fahrradtour wählen. Schon bald brutzeln die ersten Asados vor sich hin, man hört Gitarren & Gesang, auf den freien Flächen wird Fußball gespielt, der Eismann radelt vorbei, die Sonne scheint, die Vögel zwitschern… also alles in allem ein entspannter, schöner Sonntagnachmittag.
Am späten Nachmittag gesellt sich Javier Cohler aus Ciudad del Este zu uns, bewundert unser Auto und gibt uns ausführliche Tipps zur Weiterreise in Paraguay. Als Jeepclub-Mitglied ist er viel in seinem 4×4 im Land unterwegs (am liebsten in der Regenzeit, wenn die unbefestigten Pisten glitschig wie Seife sind – macht mehr Spaß) und zeigt uns Fotos von seiner letzten Tour an durch Nordparaguay. 2015 ist er sogar bei der Trans-Chico Rallye mitgefahren. Als hauptberuflicher Lastwagenfahrer weiß er aber auch, welche Strecken problemlos zu befahren sind und bedauert mit Blick auf seine Offroad-Leidenschaft, dass es mittlerweile immer weniger unbefestigte Straßen gibt. Zum Abschied schenkt er uns einen hausgemachten „Cocido“ bestehend aus: Yerba Mate-Tee, Zucker und – zerriebener Holzkohle. Hört sich gewöhnungsbedürftig an, schmeckt auch so. Er wird heiß und mit einem Schuss Milch getrunken, was die Sache nur unwesentlich besser macht.
Weiter geht es Richtung Nordosten in das Unesco Biosphärenreservat Bosque Mbaracayú. Das Kerngebiet wird von der Moisés Bertoni Stiftung verwaltet. Vorrangiges Ziel des Reservats ist, sowohl die Biodiversität zu erhalten, als auch durch Forschung, (Umwelt-)Erziehung und Austausch von Informationen nachhaltig zum Schutz des atlantischen Regenwaldes beizutragen. (In Paraguay wurden innerhalb von 50 Jahren, 90% des Regenwaldes abgeholzt, u.a. um Platz für Soja- und Maisfelder zu schaffen. Vom ursprünglichen atlantischen Regenwald sind im Alto Paraná nur noch 7% übrig!)
Um zum Naturreservat zu gelangen, fahren wir 200 km auf der Ruta 10 (rechts und links sind bis zum Horizont nur Mais- und Sojafelder zu sehen, Werbetafeln für Düngemittel und Schädlingsbekämpfung, viele Laster), 60 km Staubpiste und auf den letzten 32 km, für die wir über zwei Stunden brauchen, geht es ziemlich heftig über Stock und Stein und wir müssen letztendlich feststellen, dass die Koordinaten, die uns zum Bosque führen sollen, nicht so ganz stimmen…
…aber wir fragen uns durch und kommen kurz vor einem Gewitter am Parkeingang an. Punktlandung! Angesichts der Wetterlage, mieten wir uns in der Lodge ein.
Im Reservat gibt es neben Lodge und Forschungsstation auch ein pädagogisches Zentrum mit Internat für 14-20jährige junge Frauen, die hier eine dreijährige Ausbildung in „Ciencias Ambientales“ (Wissenschaften der Umwelt) machen können. Einige Schülerinnen kommen direkt aus der Region, andere haben längere Anfahrtswege.
Marianne, Schülerin des ersten Ausbildungsjahres, führt uns über das Gelände und stellt uns die Schule vor: momentan werden hier 120 Frauen ausgebildet, Träger ist die Moisés Bertoni Stiftung, die den Großteil der Finanzierung trägt und somit eine Ausbildung zu geringen Kosten ermöglicht. Normalerweise sei eine solche Ausbildung sehr teuer und nur für wenige erschwinglich.
Auf dem Stundenplan stehen Physik, Chemie, Castellano, Guarani, Hauswirtschaft, Grundlagen der Forschung, Mathematik, Informatik, Biologie und vieles mehr – insgesamt gibt es bis zu 23 verschiedene Fächer! Mit Abschluss der Ausbildung verfügen die jungen Frauen sowohl über ein breitgefächertes Wissen, als auch gute Verbindungen zu anderen Einrichtungen und Universitäten und können damit leichter mit einem weiteren, spezielleren Studium aufbauen. Marianne z.B. möchte danach Medizin studieren, andere spezialisieren sich auf den Bereich Ökotourismus oder gehen in die Forschung.
Jeden Morgen vor Unterrichtsbeginn um 6:15, singen die Chicas die paraguayische Nationalhymne. Auf meine Bemerkung, dass wir sie noch nie morgens gehört hätten, antwortete sie grinsend, dass das wohl mit ihrer morgendlichen Müdigkeit zusammenhänge, die den Gesang entsprechend klingen lasse. Außerdem erzählt uns Marianne stolz, dass ihre Fußballmannschaft dieses Jahr in Frankreich den vierten Platz im Damenfußball der Schulen belegt hat!
Typischer Blick aus unserem Fenster: alle Chicas gruppieren sich mit ihren Handys um unsere Lodge, weil dort der WLAN-Hotspot sitzt… – mit massiven Folgen für die Geschwindigkeit…
Gemeinsam mit Eligio, einem Ranger des Parks, der mit seinem Motorrad vorfährt, machen wir eine Tour ins Innere des Reservats.
Aber zuerst einmal müssen wir 12km durchs Gelände fahren und da es am Tag vorher ziemlich geregnet hat, sind die unebenen Wege schlammig und voller großer Pfützen…
Am Ziel angekommen, wandern wir durch den Regenwald. Es zwitschert, quakt, raschelt und zirpt um uns herum, in den Bäumen blühen Bromelien, wir sehen mit Lianen behangene Urwaldriesen, große Farne, Bitterorangenbäume, probieren unbekannte Früchte, überqueren Bäche, finden Tierspuren, bunte Schmetterlinge, diverse Löcher in der Erde, eine große Echse, die sich auf einem Baumstamm sonnt.
Der Rest der Tierwelt scheint uns aus den Tiefen des Urwalds zu beobachten, zeigt sich aber nicht…
Eligio arbeitet seit 23 Jahren im Naturreservat und erzählt uns, dass es nicht ganz einfach war, dieses Naturschutzgebiet aufzubauen. V.a. musste in der Bevölkerung viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, bestimmte Bäume nicht zu fällen. Kein Wunder: allein für das Holz eines Urwaldriesen (z.B. eines 200jährigen Lapacho) werden auf dem Markt 10 000 US Dollar bezahlt! Wir erfahren auch, dass dort, wo mittlerweile die Ruta 10 (s.o) verläuft, vor 5(!) Jahren noch kompletter Urwald war – wir sind – gelinde gesagt – geschockt. Das hier noch bis vor ein paar Jahren so massiv Regenwald abgeholzt wurde, war uns nicht bewusst!
Zum Abschluss unserer Exkursion, machen wir noch eine kleine Kanutour in der Lagune. Hier lebt eine Gruppe von 35 Kaimanen, die sich allerdings ebenfalls (glücklicherweise…) versteckt hält.
Ach ja, ein Säugetier haben wir dann doch noch gesehen- lag aber leider tot auf auf dem Weg, Verkehrsunfall…: ein plattes Opossum…
Am nächsten Morgen, um 6:00 starten wir unter Sixto Fernandez´ fachkundiger Führung eine ornithologische Exkursion. Es gibt viel zu hören: kreischende Papageien, das dunkle Knarzen eines Tukans, den Pajaro Campana (der Nationalvogel Paraguays!) mit seinem metallischen Ruf, das deutliche „ju..jui, juiju eines Steißhuhns (Tataupá Listado), es zwitschert überall und in der Ferne hört man ein paar Affen….
Sixto ist Biologe und kennt den Park durch seinen Vater, der hier tätig war, seit Kindesbeinen an. Er arbeitet seit 17 Jahren im Reservat, betreut viele nationale und internationale Projekte und ist in ganz Paraguay unterwegs, um Flora und Fauna zu erforschen (sein Spezialgebiet: Jaguare). Er erzählt uns, dass der Bosque Mbaracayú der Nationalpark mit der höchsten Biodiversität in ganz Paraguay ist. Außerdem sei es der einzige, der in seiner Größe nicht nur auf dem Papier, sondern auch real als geschlossene Einheit existiert und funktioniert. Grund dafür sei u.a. auch die gute Ausbildung der Schülerinnen des Internats, die ihr Wissen über den Regenwald erfolgreich in ihre Familien transportieren, damit als Multiplikatoren in der Bevölkerung vor Ort dienen und dadurch wiederum eine viel höhere Akzeptanz des Parks in der Region bewirken.
Die meisten Parks in Paraguay seien zwar auf dem Papier zusammenhängend, aber in Wirklichkeit durch Straßen u.ä. ziemlich zerstückelt und hätten oft Probleme, Wilderer und Holzdiebe in Schach zu halten.
Sixto kann uns auch über die rätselhaften Vögel im Tati Yupi Park aufklären:
der „Flöten-Hugo“ heißt eigentlich „Urutaú Grande“ (Nyctibius grandios), ein Meister der Tarnung, wie er uns auf einem Foto zeigt. Da er ein Nachtvogel ist und nicht gut sehen kann, versteckt er sich tagsüber an Baumstämmen und hofft, dass man ihn nicht entdeckt. Selbst bei Berührung fliegt er tagsüber nicht weg.
Grinsend erzählt er, dass der Vogel auf Guaraní so viel wie „jammernder alter Vogel“ heißt, und dass kleinen Kindern früher damit gedroht wurde, dass dieser Vogel sie mitnehmen würde, wenn sie nicht brav sind…
Der „Schreibmaschinenvogel“ ist der „Boyero Cacique“ (cacicus haemorrhus), der mindestens fünf verschiedene Rufe hat – der Schreibmaschinenruf ist sein Warnruf. Und die Trillerpfeife war kein Vogel, sondern eine Frosch.
Wir werden von ihm eingeladen, uns in der Forschungsstation Fotos und Videos der Nachtkamera-Fallen des Parks anzuschauen – und was wir sehen, haut uns aus den Socken: während wir nachts nichtsahnend in unserem Bett liegen und schlafen, treiben sich doch tatsächlich Tapire, Ameisenbären, Gürteltiere, Affen, Boas, Jaguare (z.Zt. 10 Exemplare), Pumas u.ä.… in unmittelbarer Nähe herum!
Die nächste größere Anschaffung wird unbedingt ein Nachtsichtgerät!
Nach fünf sehr schönen und erlebnisreichen Tagen im Reservat müssen wir uns leider wieder verabschieden und weiter geht´s…
Paraguay – das Land, bei dem es am schwersten war, überhaupt einen Reiseführer zu finden!
(Der Einzige, der einigermaßen aktuell ist, ist der englischsprachige von Margaret Hebblethwaite in der Zweitauflage von 2014.)
Und da fast niemand Paraguay kennt, hier- ganz pädagogisch- noch ein paar Infos:
Paraguay liegt im Herzen des Kontinents (angrenzende Nachbarn: Brasilien, Argentinien und Bolivien).
Das Land ist als einziges südamerikanisches Land bilingual: es werden Guarani und Spanisch gesprochen;
Der Rio Paraguay teilt das Land in einen östlichen Teil, in dem 97 % der Bevölkerung leben und einen westlichen (wüstenartigen) Teil, in dem sich die restlichen 3 % befinden.
Paraguay besitzt eine hohe Biodiversität. Man unterteilt in fünf Regionen: den wüstenartigen Chaco (im Westen), Pampas (große Grasflächen) im Süden, Cerrado (Trockenwälder) im Nordosten, Pantanal (Sumpflandschaft) im Norden und Atlantischer Regenwald im östlichsten Osten. Es gibt mittlerweile viele private und staatliche Naturschutzgebiete – allerdings gehört Paraguay auch zu den Ländern, in denen in den letzten 60 Jahren am meisten Regenwald abgeholzt wurde (es besteht nur noch 9% des ursprünglichen Bestandes!).
Sonstiges:
Das Nationalgetränk ist Tereré, eine Art kalter Mate-Tee:
Man bekommt einen Becher („guampa“), gefüllt mit zerstoßenen Teeblättern („yerba“), in dem ein spezieller Strohhalm aus Metall (mit Sieb) steckt („bombilla“), und die dazugehörige Thermoskanne mit Eis-Wasser. Dann wird der Becher mit ein paar Pumpstößen aus der Kanne aufgefüllt und fertig ist der Tereré. Ein weiterer Unterschied zum (heißen) argentinischen Matetee: Paraguayer trinken keinen Zucker drin.
(Wenn die Temperaturen unter 25 Grad liegen, gibt´s den Tee aber auch in heiß. Dann heißt er auch wieder „Mate“- aber immer noch ohne Zucker.)
Das Nationalinstrument ist die paraguayische Harfe, eine Abwandlung der barocken Harfe, die die Jesuiten zu Beginn des 17.Jahrhunderts nach Paraguay mitbrachten.
(Apropos Jesuiten: sie haben hier ganze Arbeit geleistet- 87% der Bevölkerung sind katholisch.)
Nationalsport Nummer 1 ist Fußball. Die Stärke der paraguayischen Nationalmannschaft liegt in ihrer unnachgiebigen Defensive.
(2011 kamen sie bei der Copa America ins Finale, ohne ein Tor geschossen zu haben.)
Ach ja, noch eine Besonderheit: bei Regen geht hier gar nix mehr.
Das heißt, wenn es regnet oder kurz nachdem es geregnet hat oder es so aussieht, als würde es regnen, gelten alle Aktivitäten automatisch als abgesagt (Schule, Arbeit, Verabredungen…), da die Straßen nicht mehr zu befahren sind. Das gilt vor allem für die Buckelpisten und Staubstraßen auf dem Land.
(Wobei es in Paraguay mittlerweile auch viele neue, geteerte Straßen gibt, die v.a. wichtige Verkehrsknotenpunkte verbinden. Selbst die Trans-Chico ist teilweise geteert.)
Und: Mittagessen gibt´s immer um 12:00.
Quasi wie dahemm.