Argentinien I

„ Wenn Sie…

– an der Uni zwölf Semester Spanisch studiert haben und jetzt einen Übersetzer brauchen, um ein Busticket zu kaufen,

– die Menschen um Sie herum mit einer Thermoskanne und einem Matebecher auf die Welt gekommen zu sein scheinen,

– der Straßenverkehr Ihnen vorkommt wie Bürgerkrieg auf vier Rädern,

– morgens, mittags und nachts, im Joghurt, auf dem Brot, im Kuchen, im Marmeladenglas Dulce de leche serviert wird,

– Sie vor einem Grillrost stehen, auf dem eine halbe Kuh geröstet wird, und der Gastgeber sagt: „Ich weiß nicht, ob das für uns beide reicht,

… dann sind Sie… in Argentinien.“ (s. „Gebrauchsanweisung f. Argentinien“ v. Christian Thiele)

Dem ist nichts hinzuzufügen. Eso es!

Argentinien / Misiones

Über Brasilien fahren wir nach Misiones, der Provinz im äußersten Nordosten Argentiniens, die im Dreiländereck mit Brasilien und Paraguay liegt.
Mit jedem Kilometer steigt auch die Temperatur.

Unser nächstes Ziel sind die Jesuiten-Reduktionen „Santa Ana“, „Nuestra Senora de Loreto“ und „San Ignacio Mini“ aus dem 17. Jahrhundert.
Diese drei Siedlungen, die den fruchtbaren Zusammenschluss der spanischen und der indigenen Guarani-Kultur bezeugen, gehören zum Weltkulturerbe der Unesco. Insgesamt gibt es im Grenzgebiet Argentinien/Brasilien/Paraguay 30 „Reducciones de Indios Guaranis“. Die Reduktion Santa Ana liegt am Dorfrand und damit quasi schon im Regenwald. Der Wächter von Santa Ana lässt uns vor dem Gelände kampieren und stellt uns netterweise auch Strom und Sanitäranlagen zur Verfügung. Auf dem Weg zu den Toiletten sollte man allerdings darauf achten, dass man nicht auf eine Viper tritt. Zur Abwechslung haben wir nachts jetzt mal über 30 Grad und können vom Winter- zum Sommerschlafsack wechseln…

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Weiter geht es nach Puerto Iguazú, dem argentinischen Eingangstor zu den berühmten Iguazú-Wasserfällen. Dank Temperaturen von 39,9 Grad im Schatten und hoher Luftfeuchtigkeit fühlen wir uns wie in einem riesigen Gewächshaus. Glücklicherweise verfügt unser nächster Stellplatz über einen kühlen Swimmingpool und eine Außendusche!

Der Ausflug zu den „imposantesten Wasserfällen der Welt“ (Reiseführer) ist wirklich sehr beeindruckend : über eine Länge von 2,7 km stürzen sich Dutzende kleinerer und größerer Wasserfälle bis zu 70m in die Tiefe. Dank der vielen, unterschiedlichen Wanderwege, kann man sie sich aus allen Perspektiven anschauen.

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Beeindruckend sind auch die Besucherzahlen – da sich die Anzahl der Besucher leider umgekehrt proportional zur Anzahl der zu beobachtenden Tiere verhält, müssen wir uns mit diversen Schmetterlingen und Nasenbären, die hier wirklich in Horden auftreten (allerdings um an den Picknickplätzen des Essen vom Tisch der Touristen zu klauen!) zufrieden geben.

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Kaum haben wir uns an die hohen Temperaturen gewöhnt, zieht auch schon die erste größere Regenfront auf.
Und wenn es hier regnet, dann richtig! Mit allem Drum und Dran: Platzregen, überflutete Straßen,Temperatursturz um 25 Grad, Sturmböen, Blitz und Donner. Es ist so heftig, dass wir uns mit dem Cruiser zum Übernachten unter ein Dach flüchten, sonst wäre es für uns im Hochdach ziemlich nass und windig geworden. Da es sich ordentlich einregnet, werden aus den geplanten drei Übernachtungen sechs. (In den Nachrichten wird zeitgleich von Überschwemmungen in 15 argentinischen Provinzen berichtet, sogar Buenos Aires ist davon betroffen – und bis dorthin sind es immerhin noch 2000 km!)
Wir vertreiben uns die Regentage mit Friseur-, Supermarkt- und Restaurantbesuchen.

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Den ersten Tag, der wieder einigermaßen trocken ist, nutzen wir zum Besuch der brasilianische Seite der Wasserfälle. Hier gibt es zwar nur einen Wanderweg, aber von dort aus hat man den schönsten Panoramablick auf die Cataratas und dank der vorangegangenen Tage führen sie jetzt noch viel mehr Wasser als sowieso schon!!!

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Unseren letzten gemeinsamen Abend mit Marie-Karmen und Julen lassen wir (na klar, wo sonst!) im Restaurant ausklingen und feiern damit gleichzeitig Marie-Karmens Geburtstag.
Am nächsten Morgen heißt es leider Abschied nehmen! Unsere beiden Lieblingsbasken fahren zu Freunden nach Buenos Aires und für uns geht es weiter nach Paraguay.

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Die beiden stellen Bilder ihrer Reise auf YouTube, hier der Link:

 

Uruguay/ Landesinnere und Norden

 

Auf unserem weiteren Weg ins Landesinnere übernachten wir in der Provinzstadt der Region mit selbigem Namen: Treinta y Tres.
Bei der Ankunft auf dem städtischen Campingplatz, der sich in einem kleinen Park im Zentrum befindet, fallen uns merkwürdige, tiefe Reifenspuren auf, die sich in konzentrischen Kreisen um einen Baum herum befinden (Jajaja – wir haben das Gleiche gedacht!). Daher fragen wir bei der Touristeninfo im Park nach, ob man im Park gut übernachten kann, ob es ruhig ist usw. Die Antwort: klar, kein Problem, alles tranquilo.
Wir bekommen eine Ecke im Park zugewiesen, parken so, dass uns die Park-Lampen nicht ins Hochdach scheinen, kochen und essen anschließend gemeinsam mit Marie-Karmen und Julen gemütlich zu Abend, machen uns bettfertig, Licht aus, Augen zu.
Keine 15 Minuten später hören wir das erste Moped. Und dann kommen immer mehr dazu… offensichtlich wird an diesem schönen Freitagabend im Park Motorsport betrieben, denn die Chicos jagen sich gegenseitig mit quietschenden Reifen durch den Park. Zu allem Überfluss müssen wir feststellen, dass wir direkt unter einer der Parklampen geparkt haben – die war zwar am frühen Abend noch ausgeschaltet war, jetzt aber um so schöner leuchtet. Aber es kommt noch besser: direkt in unserer Nachbarschaft steigt eine etwas größere Party mit ziemlich leistungsfähigen Musikboxen. Als musikalischer Abschluss dröhnt um 5:00 morgens das unvergessene „La noche no esta para dormir“ durch den Park, quasi für alle zum Mitsingen.
Im Nachhinein haben wir uns überlagt, woher der Name „Treinta y Tres“ („Dreiunddreißig“) eigentlich kommt:
33 Irre? 33 Mopeds jagen um 33 Bäume? 33 schlaflose Teenies? 33 Boxen sind zu wenig???
(Apropos Uruguay und laute Musik:
hier wird prinzipiell gerne laut Radio gehört. D.h., man sucht sich mit der Herzallerliebsten ein romantisches Plätzchen, gerne auch am Meer mit schönem Blick und Sonnenuntergang, dreht das Radio auf Maximum und lässt sich in der Nähe des Autos nieder. Auf der einen Seite die Liebste, auf der anderen Seite der unverzichtbare Mate-Tee mit Thermoskanne. Bei mehr als fünf Autos baut sich eine Geräuschkulisse auf, die einen als Europäer ziemlich verstört und vom romantischen Sonnenuntergang nicht unwesentlich ablenkt.)

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Am nächsten Morgen fahren wir total gerädert in den Nationalpark „Quebrada de las Cuervos“.
Im „El Cornicho“ werden wir für die vergangene laute Nacht mit Gauchoidylle und Landleben entschädigt. Zwischen unseren Autos laufen Hunde, Katzen, Pferde, Kühe, ein schwarzes Lamm, Hühner und ein großer Truthahn herum. Im Teich quaken die Frösche und am Zaun blühen Maracujas. Hier und da ein Kolibri, bunte Vögel und riesengroße Hummeln.

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Landflucht…..

Am ersten Tag machen wir eine Exkursion zur „Schlucht der Raben“. Nach zweistündiger Wanderung stellen wir fest; hier sieht es aus wie an der Saarschleife – nur mit mehr Palmen.

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Saarschleife?

Abends bereiten Julen und Burkhard alles vor, um ein Asado zu machen: ein bisschen Holzkohle und Holz, 6 Hähnchenschlegel und unser kleiner Asado-Rost.
Direkt nebenan wird ebenfalls vorbereitet: Unmengen von Holz, ein großes Feuer, ein riesiger Asado-Rost und – ein ganzes(!), allerdings entbeintes, Lamm. Der dazugehörige Gaucho schaut grinsend auf unser kleines Feuerchen und murmelt etwas von „…competencia….“.

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Am zweiten Tag wird Wäsche gewaschen, gefaulenzt und gelesen.
Caesar, der Hausherr, war zehn Jahre lang Techniker auf einem Frachtschiff und ist bereits um die ganze Welt gesegelt. Mit dem damit verdienten Geld hat er mithilfe seiner Ehefrau und seinen drei Söhnen eine Posada im Landesinneren errichtet. Im Fotoalbum der Familie können wir seinen Werdegang vom Seemann zum Nebenerwerbsbauern und Posadabesitzer nachverfolgen. Außerdem ist er noch Besitzer (und vielleicht auch Erfinder?) einer äußerst interessanten Dusche: es handelt sich dabei um einen bauchigen Duschkopf, mit einer Art Alkohol-Durchlauferhitzer. D.h. man schüttet Alkohol auf eine flache Scheibe, die sich unterhalb des Duschkopfs befindet, zündet ihn an, schiebt ihn direkt unter den Duschkopf, wartet ein bisschen bis das Wasser im Duschkopf heiß ist (aber nicht zu lange!) und bekommt damit (mehr oder weniger) warmes Wasser. Immerhin ist diese Konstruktion vertrauenswürdiger, als die Duschköpfe mit direktem elektrischen Anschluss, die man auch immer mal wieder hat…

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Unser nächstes Ziel: Nationalpark „Valle del Lunarejo“.
Unterwegs übernachten wir gemeinsam mit einer Roma-Großfamilie im Valle Eden auf einem kommunalen Campingplatz. Sie sind gerade auf der Rückreise nach Brasilien und leben vom Verkauf von Decken und Autobatterien- außerdem kann die Großmutter aus der Hand lesen. Ihrer Bitte, zwei Sahnetorten in unseren Kühlschränken zu kühlen, die sie zur Feier einer Schutzheiligen für den folgenden Tag gekauft haben, können wir leider nicht entsprechen – in den Kühlschrank geht zwar schon was rein, aber bei Sahnetorten wird´s ziemlich eng.
Am darauffolgenden Morgen besuchen wir das Museum „Carlos Gardel“. Carlos Gardel (die „kreolische Nachtigall“), das Nationalheiligtum Uruguays, hat den Tango zu Beginn des 20.Jahrhunderts wieder aufleben lassen und um sein Leben spannen sich zahlreiche Legenden. Bis heute ist ungeklärt, ob er gebürtiger Uruguayer, Argentinier oder Franzose war. Laut Museum natürlich ganz klar Uruguayer!

Weiter geht es in Richtung Nordwesten.
Wir wählen den kürzeren Weg, fahren offroad und treffen auf neugierige Kanincheneulen, diverse Greifvögel, zerschossene Straßenschilder, Kühe in den unterschiedlichsten Verwesungsstadien, Geier, tote, an Zäunen befestigte Füchse, ein kleines Gürteltier, passieren mehrere Gatter und Burkhard rettet heldenhaft einen Nandu (straußähnlicher Vogel), der sich im Weidezaun auf der Flucht vor unserem Auto verfangen hat.

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Gürteltier
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kritische Kanincheneule
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nach der Nandu-Rettung
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Warnschild; Achtung hier wird geschossen!

Nach dieser kurzweiligen Fahrt kommen wir am späten Nachmittag im Valle Lunarejo an. Da Unwetter für die kommende Nacht gemeldet ist, entschließen wir uns dazu, in der gleichnamigen Posada zu übernachten. Die Mutter des Besitzers ist eine hervorragende Köchin und die Vollpension der Posada besteht aus vier (!) äußerst leckeren Mahlzeiten (womit wir wieder beim Essen wären…).

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Außerdem gibt es in direkter Nachbarschaft eine Lagune, an der man gut und ausführlich Vögel beobachten kann.
Am darauffolgenden Tag machen wir eine geführte Tour in einem geländetauglichen, umgebauten russischen Militär- Krankenwagen aus dem 2. Weltkrieg. Flavio, der Besitzer der Posada, erklärt uns die Vegetation des Lunarejo Nationalparks und zwischendrin können wir in einem der natürlichen Steinbecken des Flusses baden. Tiere sind leider keine zu beobachten (obwohl unser Reiseführer etwas von Horden von Nasenbären und Fröschen in allen Farben und Größen schreibt…).

Weiter geht es zu den Thermen von Arapey.
Wir planen für die Fahrt zwei Tage ein und rechnen mit einer Übernachtung in der Wildnis. Die Tour beginnt spannend mit ein paar Flussüberquerungen und anspruchsvollem Gelände, aber außer Kuhherden, Gauchos und ein paar Greifvögeln ist nicht viel zu sehen.

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Schneller als geplant sind wir schon gegen Abend 40km vor unserem Ziel und suchen uns einen Übernachtungsplatz. Zufällig durchqueren wir gerade ein kleines Dörfchen an dessen Ende sich, gleich hinter dem Friedhof, ein schöner Platz zum Übernachten findet. Wir parken unser Fahrzeug auf einer Wiese, hinter ein paar Büschen und Sträuchern, so dass wir nicht gleich vom Weg aus zu sehen sind.

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schlechtes Versteck Nr, 243

In der Nähe von Dörfern muss man am Wochenende immer mit feierfreudigen Mopedfahrern rechnen und es ist Freitag. Bei Christine werden gleich Erinnerungen an 33 geweckt und wir verstecken unser Fahrzeug noch etwas besser. Gerade als wir unsere Idealposition eingenommen haben, kommen die ersten beiden Mopeds angeknattert und drehen in der Nähe ihre Kreise. Ich denk mir: „Flucht nach vorn!“ und komme aus unserem Versteck, um die beiden zu begrüßen. Da ich selbst in einem Dorf aufgewachsen bin, weiß ich, dass Fremde erst mal misstrauisch beäugt werden. Aber kaum bin ich auf dem Weg zu ihnen, verziehen sie sich mit quietschenden Reifen. Wir kochen uns noch schnell was zu Abend, putzen uns die Zähne, Licht aus, Augen zu.
Gerade eingeschlafen, werden wir von herannahenden Autos geweckt. Als ich aus dem Fenster schaue, knallen mir zwei sehr helle, riesige Scheinwerfer ins Gesicht. Ich bin hellwach. Polizei!
Ich spring schnell noch in meine Klamotten da hör ich schon vor der Tür Händeklatschen und ein „Hola, alguien aqui?“ (Das ist hier üblich- wo keine Klingel ist, wird laut in die Hände geklatscht.)
Weil Christine noch am Anziehen ist, klettere ich als Erster aus dem Auto und stehe direkt vor drei Polizisten, die mich mit Ihren Lampen anstrahlen. Ich stammle mir was aus „buenas noches“, „viajeros“ und „alemanes“ zusammen und werde sofort mit einem erleichterten „Ahhhh, alemaaaanes!“ und Handschlag begrüßt. Der Polizeihauptmann gibt weiteren drei Kollegen, die zuvor in gebührendem Abstand die Lage gesichert und die Gegend nach weiteren Verdächtigen durchsucht haben, mit einem Handzeichen Entwarnung.
Mittlerweile ist Christine dazugestoßen und uns wird erklärt, dass ihre Einheit von beunruhigten Nachbarn aus dem Dorf alarmiert wurden, da sich ein fremdes Fahrzeug mit komischen Gestalten unten am Fluss verstecke. Nach einem netten Plausch über unsere Reise und das schöne Uruguay (und vielfachen Entschuldigungen unsererseits) zieht der Polizei-Großeinsatz ab und sowohl wir, als auch das restliche Dorf können endlich beruhigt weiterschlafen.

In den „Termas Arapey“ erwartet uns am nächsten Tag ein schöner Campingplatz:
pro Stellplatz steht ein Asado-Grillplatz zur Verfügung, der Eintritt in die Thermen (vier verschiedene Becken) ist frei und die Sanitäranlagen sind sauber – alles ganz ohne Mopeds, Polizei oder Musik in Stadionlautstärke! Wir sind von brasilianischen, argentinischen und uruguayischen Rentnern umgeben und können schon mal für´s Alter üben.
Hier bleiben wir mehrere Tage zum Faulenzen, Baden, Wäschewaschen und Kröten beobachten. Das Wetter ist zwar sehr wechselhaft, aber bei einer Wassertemperatur von ca. 42 Grad kann man auch gut im Regen baden.

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(Zum Thema Kröten und Frösche: die Lagunen und Seen sind voll damit. Es wird gequakt, geklackert, gejammert und „gebellt“, was das Zeug hält. Unglaublich, dass diese Tiere so unterschiedliche Laute von sich geben können!)

Damit ist unsere Zeit in Uruguay auch schon vorbei und weiter geht´s in Richtung Argentinien…

Uruguay/ Costa de Oro

 

Uruguay: halb so groß wie Deutschland, hat mit 3,5 Millionen Uruguayos so viel Einwohner wie Berlin, dafür aber vier Mal so viele Rinder (von denen jedes zwei Fußballfelder Fläche zum Grasen hat), besitzt 660 km einsame Strände, verrostete Oldtimer am Straßenrand, noch fahrende im Straßenverkehr, freundliche Einheimische, freundliche Hunde, eine tolle Hauptstadt u.v.m.

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Hier hat meteorologisch gerade erst der Frühling begonnen und entsprechend sind die Temperaturen: ca. 13 Grad tagsüber und 5 Grad nachts. (Gut, dass wir ordentlich warme Schlafsäcke (+ Inlet) dabei haben – die Investition hat sich jetzt schon gelohnt!)

Zu unseren ersten Zielen in Uruguay gehört die Costa de Oro, der Küstenstreifen von Montevideo bis zur brasilianischen Grenze.
Einen ganzjährig geöffneten Campingplatz in dieser beliebten Badegegend zu finden ist gar nicht so einfach, weil hier zur Zeit absolute Nebensaison ist. Kann man bei den Temperaturen auch irgendwie verstehen. Trotzdem sichten wir an der Küste todesmutige Surfer (in Neopren), die sich immer wieder in die Wellen stürzen.

In der Nähe von Atlántida finden wir „La Ponderosa“: 5 Minuten vom Atlantik entfernt, mit Pferden, die gelegentlich über´s Gelände galoppieren, Fröschen im Swimmingpool, zwei Schäferhunden namens Rex und Titan und – eine Dauerbaustelle. Wie fühlen uns wie daheim! Da der Rio de la Plata nicht weit von hier in den Atlantik fließt, ist das Meer milchkaffeefarben. Ein gewöhnungsbedürftiger Anblick, der aber wiederum gut mit dem verschmutzten Strand harmoniert. Aufgeräumt wird wahrscheinlich erst im Sommer, wenn die richtigen Touristen kommen.

Von hier aus, machen wir einen Tagesausflug nach Montevideo. Da die Stadt sicherheitsmäßig leider einen eher schlechten Ruf hat, verzichten wir darauf, vor Ort im Auto zu übernachten.
Montevideo ist toll und hat viel Charme! Viele prächtige (verratzte) Kolonialgebäude, Paläste der unterschiedlichsten Stilrichtungen, Kirchen, moderne Bauten – ein architektonischer Reichtum, den man gut beim Bummeln durch die Straßen der Altstadt bewundern kann. Am Hafen steht die alte Markthalle „Mercado del Puerto“, aus dem Jahr 1868, die lange Zeit als eine der schönsten Südamerikas galt. Wir stellen fest: eigentlich ist ein Tag in Montevideo viel zu kurz! Mal schauen, vielleicht kommen wir ja wieder mit etwas mehr Zeit vorbei.

Weiter geht es mit dem Cruiser etappenweise die Küste entlang:p1120210
über Punta Ballena (mit Museumsbesuch im Casa Pueblo), Punta del Este und José Ignacio (Hotspot der Schönen & Reichen) bis nach La Paloma (Hans Albers).
Es fühlt sich an, wie Urlaub an der Nordsee: viel Wind, meist kühlere Temperaturen, hohe Wellen, lange Strände mit vielen Muscheln, schöne Leuchttürme vor denen man prima campen kann. Es irritiert nur, dass am Strand Palmen wachsen und häufiger exotische Vögel vorbeiflattern. Z.B. Schwärme von grünen Papageien, die einen unglaublichen Krach machen.
Wenn man Glück hat, kann man hier auch Wale sehen. Mal schauen.

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Nachdem Burkhard in La Paloma seinen südamerikanischen Männerschnupfen auskuriert hat, fahren wir weiter nach Valizas und treffen dort wieder mit unseren Lieblingsbasken, Marie-Karmen und Julen.
Valizas taucht zwar nicht in unserem Reiseführer auf, ist aber ein nettes, kleines Örtchen und ein toller Ausgangspunkt, um Ausflüge in die Umgebung zu machen.
Zum Beispiel in die Dünen in des Nationalparks Cabo Polonio (per Pferd), um die Seelöwenkolonien anzuschauen,
oder zum Monte de Ombués (per Boot), dem wahrscheinlich weltweit einzigem Wald, der aus Solitärbäumen besteht,
oder nach Punta del Diablo (per Auto), ein sehr entspannter (Hippie- und Surfer-) Ort mit freundlichen Leuten und einer erstklassigen Cocktailbar!

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Letzte Station an der Costa del Oro ist der Nationalpark „Santa Teresa“.Er wird im Reiseführer als „ruhig und wild“ beschrieben. Da in jedem zweiten Baum ein riesiges Papageien-Nest hängt (und hier stehen viele Bäume!) und Papageien (wie bereits erwähnt) einen ziemlichen Krach machen können, ist es hier eher weniger ruhig. Außer Papageien-Nestern ist in dem 1050 ha großen Naturschutzgebiet noch eine große historische Festungsanlage zu besichtigen. Zeitgleich mit uns war auch eine (größtenteils asiatische) Unesco-Komission vor Ort, die sich die Festung zwecks Anerkennung als Weltkulturerbe angeschaut hat- und prompt werden wir von einem südkoreanischen Pärchen auf deutsch angesprochen. Beide haben in Deutschland studiert, sind mittlerweile Festungsexperten und seitdem im Namen der Unesco unterwegs. Die Welt ist klein!

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Kommunikation auf dem Schiff

 

Also, das mit der Kommunikation auf dem Frachtschiff ist, wie bereits erwähnt, so eine Sache für sich.
Zum einen hat man ein Sprachengewirr babylonischen Ausmaßes, das sich dadurch verschärft, dass die Sprache, die als „Verkehrssprache“ fungiert (in diesem Fall Englisch), nur mehr oder weniger gut beherrscht wird. D.h. schlechtes italienisches Englisch trifft u.U. auf mäßiges französisches, deutsches, spanisches, bulgarisches, philippinisches und/oder serbisch-schweizerdeutsches Englisch. Was wiederum bedeutet, dass das Prinzip „Stille Post“ hervorragend funktioniert. Quasi Stille Post für Fortgeschrittene. Zwischendurch kursieren auf allen Ebenen die wildesten Gerüchte.

Erstaunlicherweise waren sich aber alle, vom bulgarischen Ingenieur bis zum philippinischen Matrosen, über den Geisteszustand unseres Chiefmates einig.
Um wieder unseren italienischen Stewart Giovanni zu zitieren: „Chiefmate is totally crazy!!!“ (+ dazugehörige rollende Augenbewegung und kreisender Zeigefinger in Schläfennähe).

Und wahrlich, die zwischenmenschlichen Fähigkeiten unseres Chiefmates sind durchaus ausbaufähig.p1110068
Wie soll ich ihn beschreiben?
Er sieht aus wie ein Mischung aus George Clooney und John Cleese, regt sich auf wie Louis de Finès, ist so launisch wie Klaus Kinski und gestikuliert wie das italienische Pausenfüller-Strichmännchen La Linea bzw. Lui (das mit der großen Nase aus dem Vorabendprogramm der 80ger, wisst ihr, wen ich meine?). Ich habe noch nie jemanden gesehen, dessen Gesichtsausdruck sich dermaßen schnell von freundlich in Richtung verachtend und wieder zurück verwandelt, ohne, dass er das irgendwie unter Kontrolle zu haben scheint. Vom psychologischen Standpunkt aus gesehen äußerst interessant, aus Angestelltensicht (immerhin ist er in der Frachtschiff-Hierarchie ziemlich weit oben) eine absolute Katastrophe!
Beispiel gefällig? An unserem letzten Tag wurden alle Passagiere um 7:00 (!) – normalerweise ist Frühstück ab 7:30 – hektisch geweckt, mit der Aufforderung jetzt und sofort das (gepackte!) Auto von Bord zu fahren. Aha. Interessant. Allerdings war niemand darüber informiert. Hätte man ja mal am Tag vorher machen können (v.a., da der Chiefmate am Abend vorher, als er an unserem letzten bunten Abend für Passagiere die offene Tür unseres Aufenthaltsraumes passierte, den Kopf reinsteckte und allen zuwinkte). Der arme bulgarische Kadett, der uns aufscheuchen musste, entschuldigte sich tausendmal bei uns (s.o.: „Chiefmate is totally crazy!“ usw.) und versuchte netterweise Zeit herauszuschinden – aber über sein Walkie-Talkie konnte man das hysterische Gebrülle des Chiefmates hören, dem alles nicht schnell genug ging… Gott sei Dank waren wir aber nach 5 Wochen Frachtschifffahrt mehr als tiefenentspannt, so dass wir über die abstruse Situation ziemlich lachen mussten und unsererseits versuchten, den armen bulgarischen Kadetten zu entstressen.

Daher ist es verständlich, dass die Crew an Bord möglichst wenig miteinander redet (Ausnahme: Giovanni – Stichwort: wilde Gerüchte…) und das Nötigste mit Symbolen und Gebärden (Unterstützte Kommunikation! Gruß an die Kolleg-en und -innen!) in Form von Plakaten und Aufklebern geregelt ist – damit erspart man sich ggf. nämlich jede Menge sinnloses Gebrüll.

Zarate/ Argentinien

 

Es hat einen Grund, warum Zarate in keinem Argentinien-Reiseführer auftaucht:
hier gibt´s zwar einen großen Frachtschiffhafen und viel Industrie, aber das war´s dann auch! Was wir bei unserem Landgang von Zarate sehen, wirkt (auf uns Touristen) ziemlich trostlos. (Obwohl unser Taxifahrer Ramon* auf die die Frage, was es in Zarate eigentlich so gibt, antwortete: Hay todos! sprich: Hier gibt´s alles!)
Also beschließen wir, uns mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Tigre, einer kleinen Stadt im Flussdelta des Rio Paraná zu begeben und dort unseren schilffreien Tag zu verbringen. Nach einer ziemlichen Odyssee mit Taxis und diversen Buslinien kommen wir, 8 Passagiere der Grande Nigeria, nach zwei Stunden in Tigre an.

Tigre ist ein beliebtes Ausflugsziel für die Bewohner von Buenos Aires. Von hier aus kann man Ausflüge auf kleinen Booten durch´s Flussdelta mit viel Natur (+ vielen Moskitos) machen. Das Delta del Paraná ist ziemlich groß: es gibt über 600 (!) Schulen, ausschließliche Fortbewegungsmittel sind (sehr laute!) Boote, die Häuser stehen auf Stelzen und Flora und Fauna sind vielfältig.
Da wir uns aber mittlerweile seit über vier Wochen auf ´nem Schiff befinden, verzichten wir ausnahmsweise mal auf eine Bootsfahrt und besichtigen stattdessen die Stadt. Leider sind das Mate-Museum und der „Mercado de frutos“, Argentiniens größter Markt unter freiem Himmel, dienstags geschlossen, so dass wir uns ein nettes Restaurant am Flussufer des Paraná suchen und dort unser Mittagessen einnehmen. Es gibt eine Art Asado, mit allen Teilen, die ein Tier so hergibt (von Leber, Darm, Nieren über Blutwurst bis zu diversen Fleischstücken), serviert auf einem mit Holzkohle befeuerten Minigrill, der am Tisch weiter vor sich hin brutzelt. Vorteil: Das Essen bleibt schön heiß, weil quasi direkt vom Grill. Nachteil: Das Fett spritzt dabei ordentlich auf die Kleidung (Burkhards Jacke sieht aus wie Sau – aber er saß ja auch in Wind-Fett-Kanal…).
Zum Nachtisch gibt´s ein leckeres Eis aus der Eisdiele nebenan. Dulce de leche – si, claro!
* P.S.: Mit Ramon bzw. im Taxi von Ramon sind wir von Tigre nach Zarate zurückgefahren.
Ramon ist stolze 75 Jahre alt, hält große Stücke auf Deutsche (sehr fleißig, gute Arbeitshaltung und schnelle Autos) und erzählt, dass er vor ein paar Jahrzehnten mal eine deutsche Freundin namens Erika Schulz hatte. Überbleibsel dieser Beziehung sind noch einige deutsche Zahlen und ein paar Worte wie „alles klar“, „punktlich“ und „auf Wiedersehen“. War wohl eher ´ne technische Liaison.

Rio de Janeiro / Brasilien

Um 5:00 morgens sind von Deck aus schon die Wahrzeichen unseres nächsten Stopps zu sehen:
zuerst der Corcovado mit der gigantischen Christus-Statue und dann auch der Pao de Acúcar, der Zuckerhut. Ganz klar: da vorne liegt Rio!
(Und dank der Zeitverschiebung (mittlerweile fünf Stunden hinter der europäischen Zeit zurück), ist frühes Aufstehen selbst für Langschläfer wie Christine überhaupt kein Thema mehr.)

Da wir nur 9 Stunden Liegezeit in Rio haben, organisiert der Kapitän über einen Freund vor Ort ein zackiges Touristenprogramm für uns Passagiere.
Mit dabei sind Maria-Carmen & Julien, Biljana & Christoph und Martine & Daniel.

Zügig und halsbrecherisch geht es im Mini-Bus durch die Stadt:
das Maracana-Stadion (78 838 Sitzplätze), die nagelneue Plaza Nueva mit ihren großen olympischen Lettern, das Kloster Mosteiro de Sao Bento (16.Jhd, viel Gold und Holzschnitzereien), die Cathedral Metropolitana (im Volksmund „Bienenarsch“, modernistischer Bau mit viel Beton, 20 000 Sitzplätze) das Künstlerviertel Santa Teresa mit der Escadaria do Selarón (aus 2000 Fliesen gestaltete Treppe mit 215 Stufen das chil. Künstlers Jorge Selarón, schön bunt), zwischendurch kann man einen Blick auf die Straßen des gut besuchten Mercado Popular, das Sambódromo (Karneval! 77 800 Sitzplätzen; Eintrittskarten:100€ – 3000 €), diverse Museen und die Favelas an den Hängen der Stadt werfen.
Überall sind Spuren des paralympischen Rahmenprogramms oder paralympische Delegationen zu sehen – und wir treffen auch auf deutsche Fans, die ganz begeistert von den Spielen berichten.

Nach dem Besuch des Corcovado mit seiner Christusstatue (seit 2007 eines der neuen sieben Weltwunder) und einem atemberaubenden Blick über Rio, geht es an die Copacabana – nicht, um die Bikinifigur zu zeigen, sondern um was zu essen.
Nach dieser Ochsentour sind alle platt und haben einen Bärenhunger. Wir besuchen eine „Churrascaria“: d.h. es gibt ein Buffet mit Beilagen und Salaten und man bekommt so oft von langen Spießen eine Fleischsorte nach der anderen auf den Teller geschnitten, bis man abwinkt. (Nix für Vegetarier!) Die Caipirinhas und der ein oder andere Cachaca tun ihr Restliches dazu und so kehren wir zwar etwas zu spät, aber sehr beschwingt zum Frachtschiff zurück. Die große Brücke ist schon eingeklappt, aber wir kommen noch durch den kleinen Seiteneingang rein. Der Chiefmate begrüßt uns auf Deck 12 mit erhobenen Armen und Samba-singend als er uns sieht. Normalerweise ist er nicht gerade für seine gute Laune bekannt, aber anscheinend hat er heute auch Ausgang gehabt.
Wir lassen den Abend mit alkoholischen Getränken aus unseren geheimen Vorräten an Deck und einem wehmütigen Blick auf das nächtliche Rio ausklingen.

Vitória / Brasilien

 

Die Küste von Vitória begrüßt uns mit abwechslungsreichen Bildern: während wir noch in Sichtweite der Stadt auf den „Pilot“ warten, der uns durch die Küstengewässer bis in den Hafen lotsen soll, können wir Wale beim Auf-, Abtauchen, Springen und Drehen beobachten. Ein wundervolles Spektakel!

Bei der Einfahrt in die Gewässer von Vitória stellt sich zum ersten Mal ein richtiges Urlaubsgefühl ein und es wird quasi visuell greifbar, dass wir mittlerweile ziemlich weit von Europa entfernt sind. Die Küste besteht aus einem wilden Mix glitzernder, moderner Hochhäuser, bunter, kleiner Hütten, hier und da ein Strand, kleine grüne Inseln im türkisen Meer, vor uns taucht eine hohe, lange Brücke auf und immer wieder fahren wir sehr dicht an beeindruckenden Felsformationen vorbei.

In Vitória angekommen, nehmen wir gemeinsam mit Maria-Carmen und Julien unseren nächsten Landgang in Angriff, verlassen wieder mit einer blassen Kopie unseres Reisepasses das Hafengelände und steigen ins nächste Taxi ein. Mit uns hat auch ein Teil der Crew Landgang, die anscheinend bestens seit Jahren mit den „Taxistas“ bekannt ist (das Bild von „in jedem Hafen eine Braut“ können wir hiermit bestätigen!).

Unser Wunsch ist es, irgendwo in Vitória in einen Kaffee zu trinken und Internet zu haben, um ein Lebenszeichen nachhause schicken zu können.
Ok. Das Taxi fährt los.
Aber zuerst geht´s zum Geldwechseln in eine dubiose, überdachte Häuserpassage am Rande des Zentrums. Es gibt hier mehrere kleine Läden, teilweise mit langen Warteschlangen. Julien und Burkhard schauen sich ratlos an und reihen sich in die erstbeste ein, bis sie vom Taxista – der mittlerweile Stewart, Koch und Kadett der Grande Nigeria, die ebenfalls hier sind, herzlich begrüßt hat – kopfschüttelnd an den richtigen Schalter (ohne Schlange) gestellt werden. Die gut besuchten Schalter sind allesamt Loterías und anscheinend in Brasilien sehr beliebt.

Auf einer rasanten Fahrt zwischen Autos, LKWs, Eselskarren und Motorradfahrern entfernen wir uns anschließend merkwürdigerweise immer weiter von Vitória-City. Auf Nachfrage teilt uns der Taxista mit, dass seiner Meinung nach der beste Platz in der Stadt für Kaffeetrinken und WIFI die moderne Shopping-Mall außerhalb Vitórias sei. Vitória selber sei zu heiß, zu schmutzig, zu altmodisch, zu gefährlich und überhaupt… (- und wahrscheinlich auch viel zu nah am Hafen und somit finanziell uninteressant).
So landen wir also vorerst in einem auf Kühlschranktemperatur klimatisierten Einkaufszentrum mit vielen Läden, u.a. auch einer Lotería inkl. Warteschlange, Restaurants (Mc Donalds, Burger King und Co), einer brasilianischen Bierstube und WIFI (funktioniert allerdings nur sehr mäßig…).
Uns der neuen Situation anpassend, schwenken wir daher spontan von Kaffee auf Bier um und trinken uns durch die verschiedenen brasilianischen Biersorten. Auch schön. Und lecker! Wer braucht schon das „Centro historico“ von Vitória?*

Als unser Taxista uns nach ein paar Stunden tiefgekühlt und bierselig im Einkaufszentrum wieder abholt, beschließen wir diesmal, genauer zu wünschen:
wir wollen in ein sehr gutes Restaurant mit brasilianischem Essen, am besten Fisch und zwar IN Vitória! Und siehe da, diesmal klappt´s!

P.S.:
Mittlerweile habe ich mir von Biljana den Dumont-Reiseführer Brasilien ausgeliehen. Und was steht da drin?
Vitória sei quasi die Miniaturausgabe von Rio, das historische Zentrum sehr sehenswert und das Leben sei für brasilianische Verhältnisse ruhig und geregelt, z.B. fährt bei Rot niemand über die Ampel (naja, letzteres können wir von unserem Fahrer jetzt wirklich nicht behaupten…). Schade – vielleicht beim nächsten Mal. Aber das Einkaufszentrum kennen wir schon mal.

P.P.S.:
Und um den Ruf unseres Taxifahrers zu retten: laut Dumont waren wir wirklich im besten Fisch-Restaurant der Stadt essen! Und es war richtig klasse!

Atlantiküberfahrt

Von Dakar aus setzen wir zum Sprung über den großen Teich an.

Kaum haben wir den Hafen verlassen, ziehen Wolken auf, es regnet und die Wellen werfen uns an den folgenden Tagen etwas hin und her, was sich bald aber wieder legt.
Die befürchtete Seekrankheit hält sich Gott sei Dank in Grenzen!

Wir verbringen unsere Zeit mit:
div. Reiseführer lesen, auf´s Meer gucken, Versuchen, die Schwärme von fliegenden Fischen zu fotografieren (erfolglos! zu schnell und zu klein!) und Wäsche waschen (erfolgreich und dringend notwendig). In Äquatornähe tauchen Seeschwalben auf, die das Schiff immer wieder ein Stück begleiten und uns abenteuerliche Flugkunststücke zeigen.
Außerdem können wir das Herz des Schiffes, den Maschinenraum, besichtigen. Die dazugehörigen bulgarischen Ingenieure, die allesamt am Schwarzen Meer wohnen, erklären uns alles ausführlich, geduldig und sehr freundlich (- an dieser Stelle nehmen wir alle hier jemals gemachten Vorurteile gegen Bulgaren zurück und behaupten das Gegenteil!).
Nicht zu vergessen: gemeinsam mit unseren Lieblingsbasken, Maria-Carmen und Julien, waren wir auch mal „unbeaufsichtigt“ auf der Brücke (allerdings noch im Hafen von Dakar). Sowas verleitet direkt dazu, nur noch Blödsinn zu machen: mal ein paar Knöpfe drücken, was anderes auf´s Whiteboard schreiben, kurz mal aus dem Hafen fahren… haben wir natürlich nicht gemacht – waren aber kurz davor!

Die Äquatorüberquerung wird mit einem gemeinsamen Asado, quasi einem Grillabend, feierlich begangen.
Am Nachmittag werden zwei Grills auf Deck festgezurrt, Holz herbei geschleppt und das Ganze wird vom italienischen Chiefmate mit Leuchtraketen angezündet, bis es richtig Feuer gefangen hat. (Der Chiefmate hat später dann auch persönlich (und mit sichtlichem Vergnügen) gegrillt und weder Antonio noch Burkhard an die Grillzange gelassen!)

Anschließend wird eine große Tafel mit weißen Tischdecken aufgebaut, alles ebenfalls festgezurrt (der Wind bläst noch ordentlich!) und dann passt das schon. Teller, Besteck & Gläser werden erst kurz vorher gedeckt… sicher ist sicher.
Am Abend kommen dann alle zum Essen zusammen: die bulgarischen Ingenieure, die italienischen Offiziere und Kadetten, die philippinischen Matrosen und die französisch-spanisch-schweizerdeutschen Passagiere, um gemeinsam Reis, Pommes, Würstchen & totes Tier zu essen.
Als Tischdame des Kapitäns erfahre ich ein paar interessante Dinge: er arbeitet mittlerweile seit 11 Jahren als Frachtschiffkapitän (immer im Turnus 4 Monate auf See /2 Monate zuhause); er ist gebürtiger Sizilianer, lebt aber in Brasilien; alle 4 Monate setzt sich die Mannschaft quasi komplett neu zusammen; die philippinischen Matrosen arbeiten im Turnus 8 Monate auf See /2 Monate zuhause; der Frachter tankt immer in Hamburg oder Antwerpen, weil dort der Kraftstoff am besten ist; argentinische Häfen sind chaotischer als afrikanische.
Anschließend packen wir noch auf Wunsch des Chiefmates Gitarre & Liederbücher aus und es wird gemeinsam bei Sonnenuntergang bzw. in der Dämmerung gesungen und getrunken. Mittlerweile können wir uns fast schon ein Leben als Frachtschiffmusikanten vorstellen.

Nach weiteren drei Tagen auf See, bereits kurz vor der brasilianischen Küste, sichten wir die ersten Orcas und Wale.
Teilweise tauchen sie sogar in unmittelbarer Nähe unseres Frachters auf, um mal kurz Luft abzulassen. Andere bleiben in sicherer Entfernung, drehen sich mit viel Schwung um die eigenen Achse und lassen sich wieder ins Wasser platschen. Wir sind beeindruckt.

Auch die obligatorische Feueralarm- bzw. Das-Schiff-sinkt-Übung absolvieren wir erfolgreich: alle Passagiere sammeln sich am Rettungstreffpunkt, besteigen das Rettungsboot, lassen sich erklären, wie man es startet, wo sich die Notration Essen/Wasser befindet und wie man sich korrekt anschnallt. Währenddessen übt der Rest der Crew Löschen, Erste Hilfe und Strammstehen.

Ihr seht, auf so einer Frachtschifffahrt ist immer was los. Langweilig wird´s hier nie!

P.S.:
Zum Abschluss unserer Atlantiküberquerung haben wir übrigens noch ein Passagier-Tischfußballturnier ausgerichtet. (Typisch Burkhard! Von einem bunten Abend mit Sackhüpfen und Eierlauf konnte ich ihn gerade noch so abbringen!)
Unglaublicher Weise kamen wir trotz vier linker Hände auf Platz 2. Die Schweiz war dann doch besser- sozusagen das Wunder von Zürich. Das Baskenland belegte Platz 3, und France 2 und France 1 die restlichen Plätze.
Zur Feier des Tages gab´s den Rest vom Bier der Äquatorüberquerung.

Dakar / Senegal

Dakar/Senegal

 

In Dakar ist es heiß. Sehr heiß. Als wir morgens um 8:30 zu unserem Tagesausflug aufbrechen, zeigt das Thermometer schon 32 Grad an. Zusammen mit Maria-Carmen & Julien, Robert & Michelle haben wir es endlich geschafft, das Schiff zu verlassen. Cargo geht vor- so ist das halt auf einem Frachtschiff. Unser „Ausweis“ ist eine schlechte Kopie unseres Reisepasses, die vom Zoll abgestempelt wurde. Sieht ziemlich popelig aus. Mal schauen, ob wir damit auch wieder in den Hafen reinkommen.

Unser Ziel ist die Ile de Gorée, Unesco Weltkulturerbe seit über 40 Jahren.

Nachdem wir in der Nähe des Ticketverkaufs erfolgreich Geld getauscht haben, bietet uns Babaku, ein junger Senegalese und offizieller Tourismus-Guide, eine Inseltour an. Er spricht sehr gut französisch, macht einen netten Eindruck und wir stimmen zu.

In der klimatisieren Wartehalle werde ich (als Frau) wiederholt von bunt gekleideten und geschminkten Frauen mit viel Schmuck angesprochen: sie stellen sich vor, fragen nach meinem Namen und erwähnen so ganz nebenbei, dass sie eine Boutique auf Gorée betreiben, und ich unbedingt vorbeikommen solle. Nicht vergessen! Unbedingt vorbeikommen! Mittlerweile schwirrt mir der Kopf vor so viel Namen, aber die Damen scheinen das zu wissen, denn auf der Bootsfahrt tauchen sie immer wieder plötzlich und unvermittelt auf, bringen sich in Erinnerung und fragen mich sogar, ob ich ihre Namen noch weiß. Wow – die Boutiquendichte auf Gorée scheint enorm zu sein!

(Rückblickend hätte ich auf den Standard-Satz „Bonjour, je m´appelle Sonja/Marie/Michelle…et j´ai une boutique à Gorée.“ besser geantwortet „ Bonjour, je m´appelle Christine et (malheureusement) je n´achète rien.“ geantwortet, aber im Nachhinein ist man ja immer schlauer… Kurz gesagt: wir konnten uns in den Boutiquen letztendlich auf keinen Kauf einigen- und außerdem habe ich Kaufverbot, da nichts mehr in den Cruiser passt.)

Die Ile de Gorée ist ziemlich klein (ca. 750m x 350m – also ungefähr viermal so groß wie unser Frachter) und liegt 20 Bootsminuten von Dakar entfernt. Ich nutze die Gelegenheit, um mich näher mit Babaka zu unterhalten. Er erzählt mir zum Beispiel, dass er vier Frauen hat. Auf mein entsetztes „Was? Vier Frauen???“ antwortete er ganz entspannt „Klar! Dein Mann etwa nicht?“. Auf meine Gegenfrage, ob die Frauen denn dann auch jeweils vier Männer hätten, reagiert er ähnlich fassungslos wie ich und ich sehe aus dem Augenwinkel, wie eine junge Senegalesin, die unser Gespräch verfolgt, sich im gleichen Moment die Hände vor´s Gesicht schlägt – frei nach dem Motto „Oh nein, diese Frage ist ja wohl oberpeinlich!“.

Außerdem erfahre ich von Babaka, dass: im Senegal ca. 14 Millionen Menschen leben, davon 7 Millionen in Dakar; es mit dem Tourismus dieses Jahr nicht so toll läuft (wegen der Terroristen); er natürlich gut für seine vier Frauen sorgt; er Burkhard sehr bedauere, da er nur eine Frau hat (Ganz toll! Danke auch!); 95 % der Senegalesen Muslime sind; in den letzten Jahren immer mehr afrikanische Touristen (Mali, Somalia…) den Senegal besuchen; es auch noch andere religiöse Gruppen im Senegal gäbe, die so monogam lebten wie wir (- und im Nebensatz: Die Armen! La porte est fermée!)

Unser Ausflugsschiff ist randvoll bepackt mit Luftmatratzen, Wasserkanistern, Familien mit kleinen Kindern, Sonnenschirmen, Picknickschüsseln, Grills und Badeärmchen – schließlich ist Wochenende und die Hitze an Land unerträglich. An Bord gibt es außerdem zwei Verbotsschilder: „Tam-Tam interdit!“ und „Commerce interdit!“.

Da die Sonne ziemlich runterknallt, öffnet Babaku seinen Regenschirm, um seiner vierten Ehefrau, die ganz zufällig neben ihm sitzt, und ihrer Freundin Schatten zu spenden. Ehefrau Nummer vier ist ziemlich aufgedonnert (trotz Hitze phänomenal geschminkt, goldene Sonnenbrille und geglättete Haare) und macht Selfies mit ihrem weißen I-Pad. Das Geschäft scheint zu laufen – Babakus Frau(en) geht’s nicht schlecht.

Auf der Insel angekommen, macht Babaku erst einmal den anschließenden Restaurantbesuch klar. Danach beginnt die Besichtigungstour und wir erfahren mehr über die Ile de Gorée:

Sie hat dadurch traurige Berühmtheit erlangt, dass dorthin drei Jahrhunderte lang Frauen, Kinder und Männer (insgesamt unvorstellbare 15 Millionen!) aus ganz Afrika verschleppt und von Afrikanern als Sklaven an die Europäer verkauft wurden, die sie wiederum nach Süd- und Nordamerika weiter verkauften.

Eines der ehemaligen Sklaven-Häuser („Maison des esklaves“ mit dem „Port of no return“) beherbergt ein Museum, in dem man u.a. die Gefängnisräume der Sklaven (aufgeteilt in: hommes, femmes, jeune femmes, jeune hommes, enfants) begehen und sich ein Stockwerk höher in Wort und Bild über die Historie informieren kann. Ich fand den Ort so bedrückend, dass ich unfähig war, Fotos davon zu machen.

Neben diesen historischen Stätten, die an die Grausamkeit der Sklaverei erinnern und zeigen wozu der Mensch fähig ist, bietet die Insel nichtsdestotrotz in unmittelbarer Nähe einen beliebten Badestrand und jede Menge Krimskramsstände mit Tüchern, Schmuck, Sandbildern, afrikanischen Masken, Musikinstrumenten, T-Shirts, Sonnenbrillen usw. (die berüchtigten Boutiquen!).

Für uns als Europäer (vielleicht auch speziell für uns als Deutsche) ist diese Mischung irgendwie etwas gewöhnungbedürftig: es fühlt sich in etwa so an, als befände sich direkt neben Auschwitz ein sehr beliebter Vergnügungspark.

Abschluss unserer Besichtigungstour ist der gemeinsame Restaurantbesuch. Wir sitzen auf der Terrasse im Schatten, direkt neben dem bzw. mit Blick auf den gut besuchten Badestrand. Bunte Sonnenschirme, planschende, juchzende Kinder im Wasser, Jugendliche mit Smartphones, im Schatten eine Familie mit ca, 8 Kindern, die gemeinsam aus einem riesigen Wok eine Mischung aus Couscous und Paella essen (sieht total lecker aus!), dürre, streunende Katzen, die sich ein paar Abfälle erhoffen und dreiste Mücken, die in nullkommanix alles belagern, was nach Essen aussieht.

Unser bestelltes Menü im Restaurant ist auch lecker: es gibt Calamares als Vorspeise, gegrillter Thiof (regionaler Meeresfisch) + Reis + eine Art süße Zwiebelmarmelade (mit Lorbeerblatt, Rosinen, Koriander) & als Nachtisch flambierte Ananas mit viel Rum.

Dank Fächer kann ich die Mücken alle prima vom Teller wedeln. Nachteil: Burkhard und ich müssen abwechselnd essen: einer isst, einer wedelt.

Danach geht’s wieder zurück nach Dakar.

Wir sind ganz beseelt von diesem schönen Tagesausflug und den vielfältigen Eindrücken. Es ist, wie Olivier uns zwei Tage vorher an Bord gesagt hat: die Menschen hier seien offen, nicht aggressiv, sehr kontaktfreudig (manchmal nervig, wenn sie was verkaufen wollen), aber Reisen im Senegal sei prinzipiell sicher – abgesehen von gelegentlichen Taschendiebstählen könne man sich als Ausländer dort frei und problemlos bewegen.

Apropos Taschendiebstahl…

Wir sind also auf dem Weg zurück zum Hafen. Immer wieder werden wir von diversen Verkäufern angesprochen, ob wir Sonnenbrillen wollen oder ein Taxi oder Zeitungen oder etwas ähnliches.

Ca. 400 m vor dem Hafeneingang tauchen drei Typen auf, die unsere Gruppe umschwirren, immer hin und her, zwischen uns laufen, uns bequatschen – irgendwie ist alles etwas merkwürdiger und lästiger als die ganze Zeit vorher. Plötzlich sind sie wieder verschwunden – und mit ihnen Burkhards Handy! Aus seiner Hochsicherheits-mich-klaut-niemand-Tasche! Verdammt! Wir sind gerade mal noch ein paar Schritte vom Hafeneingang entfernt, als Burkhard es merkt. Aber zu spät! Keine Chance – die Typen sind über alle Berge und unser Schiff startet auch in wenigen Stunden. Aus Rache verfluchen wir sie auf spanisch, französisch und deutsch bis an ihr Lebensende und Karma besorgt hoffentlich den Rest.

Aber wie sagt der Engländer so schön: „Shit happens!“ oder unser italienischer Stewart: „Stronzo!“